Kind liest in einem Buch. Zu sehen sind Viele Großbuchstaben mit Buntstiften gemalt.

Kein Statistik-Beleg für Leichte und Einfache Sprache

Lesedauer 4 Minuten

Wer wissen will, ob sich der Aufwand für die Leichte und Einfache Sprache lohnt, fragt nach einer Statistik: Wie viele Menschen sind nicht in der Lage, Texte in Normalsprache zu lesen? Je höher der Wert, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass für die Herstellung solcher Texte Geld ausgegeben wird. Auch Wissenschaft braucht Zahlen für den Nachweis, um zu belegen, dass die Bevölkerung verständliche Informationen braucht. Was wäre die Wissenschaft ohne Zahlen. Doch wozu der Aufwand? Jeder will Texte verstehen können. Abgesehen davon: Es gibt keinen Statistik-Beleg für Leichte und Einfache Sprache.

Siehe auch DIN ISO: Neue Dimension mit Einfacher Sprache

Die DIN ISO 24495-1 legt ausdrücklich fest: Einfache Sprache (Plain Language) eignet sich für alle Gebrauchstexte. In der Norm steht nicht so-und-so-viel Prozent der Menschen brauchen Einfache Sprache. Niemand will Unverständliches lesen. Aber ohne Statistik scheint es nicht zu gehen. Laut einem Post auf LinkedIn sind vier Prozent der Menschen auf Leichte Sprache angewiesen. Die Zahl stammt von der Universität Hamburg, allerdings schon aus dem Jahr 2011. Sie ist allein aus diesem Grund nicht aktuell. Nach den weiteren Zahlen aus dieser Studie stehen 16 Prozent auf dem Sprachniveau-Level A2 sowie weitere 40 Prozent auf B1.

Schlussfolgerung des Autors:

„Die Mehrheit der Menschen in Deutschland profitiert von leichter und einfacher Sprache! Es geht bei Sprache dabei nicht nur darum, Informationen zu vermitteln. 🗣️ Verständliche Sprache stellt sicher, dass alle Menschen diese Informationen auch wirklich verstehen. 🧠“

Das stimmt ja, aber taugen solche Zahlen als Beleg? Funktioniert die Einteilung der Lesekompetenz in die sechs Stufen des „Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen“ (A1-C2)?

Siehe auch 15 Pros für die Einfache Sprache

Sprachniveau-Ebenen haben mit Verständlichkeit nichts zu tun

Ich, Uwe Roth, habe dem Autoren auf LinkedIn widersprochen. Denn aus meiner Sicht ist der Bedarf an Leichter und Einfacher Sprache mit Statistik nicht belegbar:

Vor wenigen Jahren hätte ich dem Model A1-C2 noch voll zugestimmt. Mittlerweile sehe ich das komplett anders: Die Einteilung der Sprachniveau-Ebenen entstammt, wie Sie sicher wissen, dem „Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen“. Er teilt das Erlernen einer Fremdsprache in sechs Stufen ein.

Mit Verständlichkeit im eigentlich Sinn hat dieser aber wenig zu tun. Den Referenzrahmen auf die Unterscheidung der Leichten bzw. Einfachen Sprache von der „schweren“ Sprache zu übernehmen, ist ein inoffizielles Hilfskonstrukt.

In der DIN ISO 24495-1 und DIN 8581-1 Einfache Sprache/Plain Language kommt dieses nicht vor. Auch in der künftigen DIN SPEC 33420 Leichte Sprache wird es das nicht geben.

Sie auch DIN 8581-1 Einfache Sprache ist Praxis-bereit

Gleichung B1 gleich Einfache Sprache geht nicht auf

Bei Verständlichkeit geht es letztlich um den Wortschatz, den Sie verwenden dürfen. Ab B1 ist das schwierig. Der Wortschatz ist stark eingeschränkt. Doch welche Wörter schmeißen Sie raus bzw. verwenden Sie für die Einfache Sprache nicht? Die Auswahl im (riesigen deutschen) Wortschatz richtet sich nach den Thema, für das sich die Zielgruppe interessiert. Die Gleichung B1 = Einfache Sprache geht so nicht auf.

Der Wortschatz A1 beschränkt sich auf Wörter, die man im unmittelbaren Alltag benötigt. Das beschränkt die Themenwahl auf das Notwendigste. Inzwischen ärgert es mich, wenn Anbieter*innen der Leichten Sprache damit werben, sie könnten jedes Thema auf das unterste Sprachniveau, also A1, bringen. Das ist nicht seriös.

Menschen mit Lernschwierigkeiten sind keine homogene Gruppe

Die Leichte Sprache ist nach der künftigen DIN SPEC 33429 im Wesentlichen für Menschen mit Lernschwierigkeiten/geistiger Behinderung gedacht. Das bedeutet: Beim Texten muss nicht nur die rudimentäre Kompetenz zum Lesen berücksichtigt werden, sondern eben auch die kognitive Einschränkung.

Zudem ist es ein Fehler, Menschen mit Lernschwierigkeiten als homogene Gruppe zu definieren. In jeder einzelnen Wohngruppe oder einer Werkstatt sind Menschen, die gar nicht, ein wenig und manche sogar ziemlich gut lesen können. Nach meiner Erkenntnis ist es unmöglich, für eine Befragung eine repräsentative Stichprobe zu bekommen. Es kann folglich keinen Statistik-Beleg für Leichte und Einfache Sprache geben.

Siehe auch Einfache Sprache für Menschen mit kognitiver Behinderung

Siehe auch Gewaltschutz-Konzepte in Einfacher Sprache

Einfache Sprache hat nichts mit Intelligenz zu tun

Bei der Einfachen Sprache geht es ausschließlich um die Berücksichtigung der Lesekompetenz und nicht um die Intelligenz der Lesenden. Die Einfache Sprache hat folglich das Potenzial für eine Standardsprache, deren Schwerpunkt auf Verständlichkeit liegt.

Die Sprachniveau-Ebenen als lineare Kurze/Säulen zu sehen, ist nach den gegebenen Definitionen falsch.

Was belegen Studien zur Verständlichkeit?

Ich wurde auf LinkedIn nach neueren Studien gefragt. Das war meine Antwort:

Ich kenne keine neueren Studien. Ich habe mich nicht auf die Suche danach gemacht. Wer nutzt Leichte Sprache? Niemand weiß es. Interesse an Informationen in Leichter Sprache wird nach den Klick-Zahlen gemessen, Wie häufig wird die Webseite in LS aufgerufen oder eine PDF im LS geöffnet?

Ob es jemand aus der Zielgruppe ist und, falls ja, wie lange er oder sie sich mit dem Inhalt beschäftigt, weiß man nicht.

In der Regel öffnet sich zuerst ein Fenster mit den Datenschutzhinweisen (in schwerer Sprache). Da diese nicht genormt sind, sondern individuell gestaltet, sorgt das für Verwirrung und ist ein Rausschmeißer. Außerdem: Menschen mit Lernschwierigkeiten sind keine homogene Gruppen. Nach meiner Erkenntnis ist es unmöglich, für eine Befragung eine repräsentative Stichprobe zu bekommen.

Bedarf mit Statistik nicht belegbar

Die Gleichung, so-und-so-viel registrierte Menschen mit Lernschwierigkeiten gleich Prozent des Bedarfs für die Leichte Sprache stimmt in keinem Fall. Es gibt keinen Statistik-Beleg für Leichte und Einfache Sprache.

Für die Einfache Sprache braucht es keine Studie. Nach Verständnis der beiden Normen ist Einfache Sprache für alle Gebrauchstexte da. Niemand will schwere Sprache (sofern er/sie nicht eine Information irgendwo im Satz verstecken möchte). Bei ChatGPT finden sicher die Texte Zuspruch, die verständlich generiert wurden.

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Siehe auch Mythen und Fakten Leichte + Einfache Sprache (I)

Siehe auch Mythen und Fakten Leichte + Einfache Sprache (II)

Siehe auch Mythen und Fakten Leichte + Einfache Sprache (III)


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