Leichte und Einfache Sprache: Anbietende tun sich ohne Marketing schwer

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Der Markt für Leichte und Einfache Sprache (Plain Language) professionalisiert sich. Aus kleinen Büros werden Unternehmen, die auf Expansionskurs sind. Wer ausschließlich schreibt/übersetzt, sollte Grundkenntnisse des Marketings haben, um nicht unterzugehen.

Ihnen sitzen außerdem Programmierer Künstlicher Intelligenz (KI) im Nacken. Die Nachrichten mehren sich, dass KI Leichte Sprache inzwischen (fast) fließend spricht. Günstige KI statt teure Übersetzer*innen-Honorare – das Jahr 2023 fordert die Community heraus.

Uwe Roth ist Mitglied im Verein Deutsches Institut für Normung (DIN). Dort entstehen zwei Regelwerke: Eine DIN Spec 33429 Leichte Sprache sowie eine DIN 8581-1 Einfache Sprache. Uwe Roth arbeitet an beiden Regelwerken intensiv mit. Zusätzlich entsteht auf internationaler Ebene eine ISO 24495 Plain Language (Einfache Sprache). Diese wird in einer DIN umgesetzt. Zu meinem Blog.

Leichte Sprache groß-, einfache Sprache kleingeschrieben. Warum?

Man könnte meinen, der Markt für Leichte Sprache boomt wie nie zuvor. Der Begriff scheint zumindest bei den Verantwortlichen in der Kommunikation einer öffentlichen Verwaltung angekommen zu sein. „Da brauchen wir noch was in Leichter Sprache.“ Das ist inzwischen ein Pflichtsatz, wenn über eine neue Broschüre oder Internetseite diskutiert wird.

Dann und wann fällt das Stichwort Einfache Sprache. Meistens kleingeschrieben, während sich die Großschreibung bei Leichter Sprache durchgesetzt hat – als untrügliches Zeichen für einen feststehenden Begriff.

Schreiben in Einfacher Sprache setzt Kompetenz voraus

Die Kleinschreibung bei der Einfachen Sprache weist darauf hin, dass diese nicht als offiziell oder notwendig betrachtet wird. Die Überzeugung hält sich hartnäckig: Für die Leichte Sprache gibt es ein (offizielles) Regelwerk, an das sich alle halten müssen, für die Einfache Sprache eben nicht. Jede/r kann schreiben, wie er/sie will. Was nicht stimmt. Gutes Schreiben in Einfacher Sprache setzt eine besondere Kompetenz voraus.

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Das wird zum Beispiel offensichtlich, wenn ein Kunde einen Text in Einfacher Sprache aus freien Stücken an einigen Stellen verändert. Das kann so schwer nicht sein, denkt sich der Kunde. Aber solche eigenmächtigen Korrekturen fallen beim Lesen wie ein Fremdkörper auf, der die gesamte Qualität stark beeinträchtigen kann.

Der Text ist nicht mehr aus einem Guss. Meistens schleust der Kunde (mindestens) einen Fachbegriff ein, dessen eingeschränkte Bekanntheit ihm nicht auffällt.

Missverständnis vom leichten Schreiben in Einfacher Sprache

Doch trotz des Missverständnisses vom leichten Schreiben in Einfacher Sprache wächst für sie die Aufmerksamkeit. Übersetzende der Leichten Sprache erweitern ihr Dienstleistungsangebot mit einer kleinen Änderung auf der Internetseite um die Einfachen Sprache. Der Unterschied scheint nicht groß zu sein: Die Sätze dürfen etwas länger und der Wortschatz darf etwas größer sein.

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Was soll daran so schwer sein? Man weiß ja nicht, wie sich der Markt entwickelt. Man möchte auf alle Eventualitäten vorbereitet sein. Google hilft beim Gefunden werden.

Viele Anbietende machen den Markt unübersichtlich

Das klingt gemein, ich weiß. Auf meine Blogs kam immer schon so manche empörte Kritik. Mehr Realitätssinn täte manchem/r in unserer Community jedoch gut. Schreiben in Leichter Sprache ist keine caritative Angelegenheit und ein oftmals schlecht bezahlter Beitrag zur Inklusion. Der Markt ist knallhart, dem müssen wir uns stellen.

Ich möchte mit meiner Zuspitzung niemanden persönlich treffen. Es gibt sehr gute, viele durchschnittliche, aber eben auch sehr schlecht Schreibende. Aus meiner Sicht ist deren Heterogenität ein Grund, warum der Markt sehr viel unübersichtlicher geworden ist.

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Zufallsfunde werden zu Auftragnehmern

Die Zahl der Anbietenden wächst und wächst. Doch im Gegensatz dazu scheint sich der Kreis von Auftraggebenden nicht im gleichen Maß zu vergrößern. Die öffentliche Verwaltung und Unternehmen der Dienstleistungsbranche laden Zufallsfunde aus dem Internet zu Ausschreibungen ein. Oder man gibt den Auftrag direkt an eine Person, die man in der Szene oder aus einem Netzwerk kennt.

Es ist schwer, die Qualifikation eines Anbietenden einzuschätzen und Referenzen zu beurteilen. Öffentliche Verwaltungen machen es sich leicht, in dem sie darauf verweisen, dass sie das günstigste Angebot nehmen müssen. Qualitätskontrolle? Eher schwierig bis unmöglich. Meistens findet sie gar nicht statt. So lange Gegenlesende ihr Okay geben, ist alles gut.

Wie prüft Laie angekaufte Leichte Sprache-Texte?

Im Vergleich zu anderen Produkten, die ein Unternehmen ankauft, ist die Qualitätskontrolle eines Werks in Leichter Sprache (von Laien) tatsächlich eine besondere Herausforderung. Man verlässt sich bestenfalls auf die Prüfgruppe. Die müssen dann schlauer sein als der Autor oder die Autorin.

Und der Kunde bzw. die Kundin? Menschen, die sich mit Leichter Sprache nicht auskennen, denken sich beim Lesen eines eingekauften Textes: Das klingt zwar in meinen Ohren merkwürdig, meins ist es nicht, aber für die Zielgruppe Menschen mit kognitiver Einschränkung muss das wohl so sein.

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Auch das ist ein Versuch zu erklären, warum so viele – sagen wir – nicht ganz so optimale Werke in Leichter Sprache auf einer Internetseite (weitgehend ungelesen) ihre letzte Ruhestätte finden. Oder als gedrucktes Werk in einer Schublade oder im hinteren Bücherregal.

Kommt KI und macht Übersetzer*innen überflüssig?

Konkurrenzdruck macht eine in Österreich angesiedelte Agentur. Als eine der ersten Anbieterinnen im deutschen Sprachraum hat sie über die Jahre eine Größe erreicht, die eine eigene Marketing-Abteilung erlaubt.

Während man selbst am Notebook einen Auftrag abarbeitet, sitzen Key-Accounter der Groß-Agentur bei potenziellen Kunden und werben um eine dauerhafte Zusammenarbeit sowie für den Erwerb von Lizenzen. Als Solo-Selbständiger hat man da keine Chance mitzuhalten.

Siehe auch Künstliche Intelligenz schreibt in Einfacher Sprache/Plain Language

Die Agentur hat ein KI-Programm im Angebot – und nicht nur dieses Unternehmen. Künstliche Intelligenz lernt überall sprechen, und das tut sie in jungen Programmier-Tagen nicht gleich in Schopenhauer-Rhetorik, sondern zuerst in Leichter und Einfacher Sprache. Die Ergebnisse haben eine inzwischen erstaunlich hohe Qualität erreicht. Da besteht großes Potenzial, Übersetzende von Routine-Texten überflüssig zu machen.

Menschen sind teuer, auch wenn die Honorare niedrig sind. Prüfgruppen kosten nicht wenig und brauchen oftmals viel Zeit, bis sie ihre Arbeit erledigt haben. So bitter es klingt: Vielleicht hilft die KI der Leichten Sprache zum Durchbruch. Sie ist schnell und günstig. Das Ergebnis kann ja wieder niemand kontrollieren.

Leichte und Einfache Sprache: Profi-Ausbildung sollte zur Marke werden

Einzige Chance ist das Abliefern hoher Qualität. Die erreicht man nicht allein mit fehlerfreier Rechtschreibung und Grammatik. Auch nicht damit, dass man jede, aber auch wirklich jede Regel der Leichten Sprache penibel einhält. Man erreicht sie am Ende mit Talent, Kreativität und einer guten Schreib-Ausbildung, die nicht nur ein oder zwei Wochenenden dauert.

Siehe auch Ohne Kreativität keine Einfache Sprache

Für alle Texte in Normalsprache, die in die Öffentlichkeit gehen, werden Profis eingesetzt: Journalist*innen, PR- oder Werbe-Texter*innen. Alle haben eine mehrjährige Ausbildung hinter sich. Unter diesem Anspruch an die Qualifikation eines Textenden in Leichter und Einfacher Sprache sollten Auftraggebende nicht gehen.

Manchmal muss es eben Klartext sein

Ich bin mir sicher, dass ich mir mit diesem Blog einige Kritiker*innen geschaffen habe. Aber es ist Jahresende, und mir war es ein Bedürfnis, Bilanz zu ziehen. Da ich durch und durch Journalist bin, habe ich sie öffentlich gemacht. Bei aller Skepsis: Ich gehe guten Mutes in das Jahr 2023. Sie hoffentlich auch. Ihnen alles Gute.

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