Jobcenter Landkreis Ludwigsburg. Foto: Uwe Roth

Schade: Bürgergeld-Gesetz ohne Einfache Sprache – dafür oft Absprache

Lesedauer 3 Minuten

An diesem Donnerstag (10.11.2022) wird im Deutschen Bundestag über das Bürgergeld-Gesetz abgestimmt. Im Koalitionsvertrag steht, dass die Absprachen mit den Beziehenden von Bürgergeld „in einfacher Sprache formuliert“ sein sollen.

Ich hatte die Hoffnung, dass im Bürgergeld-Gesetz zum ersten Mal auf legislativer Ebene die Einfache Sprache als Mittel der Kommunikation mit Bürger*innen verankert wird. Doch es kommt wohl anders,

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Im Entwurf des Gesetzes ist davon nicht mehr die Rede: Dort steht nur noch „in klarer und verständlicher Sprache“. Damit kann im Jobcenter weiterhin jeder Sachbearbeiter und jede Sachbearbeiterin selbst darüber entscheiden, was aus der persönlichen Sicht „klar“ und „verständlich“ ist. Für die Kommunikation ist das eine verpasste Chance.

Die Verankerung des Begriffs Einfache Sprache im Bürgergeld-Gesetz hätte eine neue Dimension in der öffentlichen Kommunikation eingeläutet. Beim Deutschen Institut für Normung entsteht aktuell die DIN 8581-1 Einfache Sprache. Die Verabschiedung dauert allerdings noch.

Rechtsverbindlichkeit hätte Einfacher Sprache gutgetan

Die Regeln machen Angaben darüber, wie Autor*innen Texte schreiben müssen, damit diese das Etikett Einfache Sprache verdienen. Verständlichkeit wird zu einer Norm. Mit der Nennung im Bürgergeld-Gesetz wäre eine Rechtsverbindlichkeit für die Anwendung dieser Norm entstanden.

Aber nun steht „klar“ und „verständlich“ im Entwurf und nicht Einfache Sprache. Dafür kommt fast 20-mal das autoritäre Wort Absprache oder Leistungsabsprache im Text vor. Das ist für diejenigen, die meinen, die Anforderungen an die Bürgergeld-Beziehenden seien zu lasch formuliert. Verstöße gegen Absprachen können geahndet werden.

Verständlichkeit als dritter Pfeiler für korrektes Deutsch

Die Sprache kennt bislang die Rechtschreibung und Grammatik als Vorgaben für korrektes Deutsch. Nun soll Verständlichkeit als neuer dritter Pfeiler hinzukommen. Der Amtssprache würde ein solcher dritter Pfeiler in der Kommunikation mit der Bürgerschaft sicher guttun. Das hätte das Bürgergeld-Gesetz berücksichtigen müssen.

Die ISO Plain Language (Einfache Sprache) liefert weitere Kriterien für das entscheidende Ziel in der Kommunikation: Die Adressaten einer Information müssen diese leicht finden, lesen und verstehen können. Das klingt banal. Die Welt wird immer komplexer. Gleichzeitig wollen immer mehr Menschen komplexe Sprache nicht mehr zur Kenntnis nehmen. Eine offiziell definierte Orientierung für Einfache Sprache ist aus meiner Sicht für die künftige Entwicklung unerlässlich.

Bürgergeld-Gesetz: weit entfernt von Einfacher Sprache

Manche Regeln der geplanten DIN sind „von Laien“ ohne Weiteres anzuwenden. Dazu gehört beispielsweise, wie lang ein Satz maximal sein sollte. Die Gesetzgebenden hatten die Einfache Sprache offensichtlich nicht im Sinn, als sie ihrer Vorlage den Titel gaben: „Entwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze – Einführung eines Bürgergeldes (Bürgergeld-Gesetz).“

Nun bleibt also jedem Mitarbeitenden im Jobcenter bzw. in der Agentur für Arbeit selbst überlassen, in welcher (Fach-)sprache er oder sie die Eingliederungsvereinbarung nach SGB II „klar und verständlich“ formuliert. Beschreiben Sie mal „Eingliederungsvereinbarung“ klar und verständlich!

ALG II-Leitfaden in Einfacher Sprache

Ich weiß, wovon ich schreibe. Für ein Jobcenter habe ich einen solchen sechsseitigen Text überarbeitet. Das Original zu lesen und zu verstehen, war eine Qual – auch für mich. Die meisten Sätze musste ich mehrmals lesen. Manches Fachwort habe ich mir ergooglen oder die Bedeutung schlicht erraten müssen.

Siehe auch Textbeispiele Einfache Sprache – Jobcenter

Dabei habe ich nicht bei null angefangen. Fürs gleiche Jobcenter habe ich einen Leitfaden zum Arbeitslosengeld II (ALG II) in Richtung Einfache Sprache gebracht. Auch das war einer meiner größten Herausforderungen gewesen.

Übersetzung in Muttersprache ist keine Lösung

Man sollte bedenken: Antragsteller*innen müssen diese Vereinbarung unterschrieben, wenn sie die Leistungen des Jobcenters erhalten wollen. Folglich sollten sie den Inhalt lesen und verstehen können. In diesem Fall war die Vereinbarung als Vertrag für Geflüchtete aus der Ukraine gedacht. Trotz meiner Mühen lässt sich das Ergebnis aus meiner Sicht sehen. Der Beweis: Die automatisierte Übersetzung brachte den Text fehlerfrei ins Ukrainische.

Mein Hinweis an der Stelle lautet: Behörden lassen Informationstexte in die jeweilige Muttersprache ihrer Klient*innen amtlich übersetzen. Damit hoffen sie, das Problem mit den schlechten Deutsch-Kenntnissen beseitigt zu haben. Doch ein Text in schwerem Amtsdeutsch bleibt in der Fremdsprache ein schwer verständlicher Behörden-Text.

Siehe auch Koalitionsvertrag 2021 nennt Einfache Sprache gleichberechtigt mit Leichter Sprache

Aus schwerem Amtsdeutsch wird schweres Amtsenglisch

Wäre dem nicht so, hätte der Übersetzende schlampig gearbeitet. Angenommen: Sie haben sehr gute Kenntnisse der deutschen und englischen Sprache. Sie verstehen trotz größter Bemühung den Bescheid ihres Finanzamts nicht, obwohl dieser logischerweise auf Deutsch verfasst ist.

Wenn dem so ist, werden Sie auch eine Eins-zu-Eins-Übersetzung ins Englische nicht kapieren. So geht es wohl allen Ankommenden, die von der deutschen Behörde ein Informationsblatt in deren Heimatsprache in die Hand gedrückt bekommen.

Klar und verständlich: In meine Kurse kommen Fachleute, die davon überzeugt sind, dass sie sich im Umgang mit Bürger*innen erfolgreich um Verständlichkeit bemühen. Sie bringen Texte mit, die wir dann bearbeiten. Ergebnis: „Mir war gar nicht klar, wieviel Fachsprache ich verwende.“

Siehe auch Kurse

Verpasste Chance in Hinsicht auf die DIN Einfache Sprache

Dass im Bürgergeld-Gesetz die Einfache Sprache nicht explizit erwähnt wird, ist noch aus einem anderen Grund eine verpasste Chance. In den DIN-Regularien steht:

Rechtsverbindlichkeit erlangen Normen, wenn Gesetze oder Rechtsverordnungen wie zum Beispiel EU-Richtlinien auf sie verweisen.

(Quelle)

Die Rechtsverbindlichkeit wäre bei dieser DIN ein Meilenstein für bessere Verständlichkeit in der Kommunikation. Ich kann nur hoffen, dass zu einem späteren Zeitpunkt die Rechtsverbindlichkeit nachgeholt wird.

Siehe auch 15 Pros für die Einfache Sprache


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