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Corona-Virus verständlich erklären – einmal Leichte Sprache reicht nicht

Lesedauer 3 Minuten

Im Internet kursiert ein Erklär-Text zum Corona-Virus in Leichter Sprache. Aber 99,9 Prozent der Infos für Bürger sind in schwerer Sprache. Wären Texte in Einfacher Sprache (Plain Language) für alle Bürger nicht sehr viel besser?

Es ist ein Fortschritt: Deutschland war wegen des Corona-Virus kaum im Krisenmodus. Da gab es Infos in Leichter Sprache. Das Bundesministerium für Gesundheit hat diese veröffentlicht. Früher hätte es Wochen bis zu einer solchen Textform gedauert. So betrachtet, ist die frühe Reaktion ein Fortschritt. Ich allerdings bevorzuge Texte in Einfacher Sprache (Plain Language) für alle Bürger. Nicht eine solche Zweiteilung in Gut- und Schlechtleser. Die Leser meines Blogs wissen das.

Corona: Info der Regierung hat miserablen Wert im Index zur Verständlichkeit

Es ist das Übliche: Eine öffentliche Verwaltung/eine Behörde/ein Ministerium geht davon aus, dass Bürger die Sprache der Verwaltung verstehen. Also Amtsdeutsch. Ich arbeite mit dem Analyse-Programm TextLab. Nach dem Hohenheimer Index zur Verständlichkeit hat ein Internettext mindestens 16 Punkte. Die Informationen der baden-württembergischen Landesregierung (mein Heimatbundesland) zur Corona-Krise für die Bürger (!) hat einen Indexwert 4,7 von 16. Ein extrem schlechter Wert. Mit gutem Gewissen dürfte eine Regierung einen solchen Text nicht ins Internet stellen.

Fachleute der Verwaltung argumentieren, das Thema sei komplex. Rechtssprache sei notwendig und nicht vermeidbar. Soweit richtig. Aber TextLab kritisiert vor allem

  • die viel zu langen Sätze (mehr als 20 Wörter),
  • Sätze mit mehr als zwei Satzteilen und
  • eine Menge Sätze im Passiv.

Die Kriterien zur Bewertung von Text-Verständnis sind wissenschaftlich anerkannt.

Corona: Experten für Einfache Sprache müssen mitarbeiten

Warum ignoriert die Politik die Erkenntnisse der Kommunikations-Wissenschaft? Gibt es eine Vorschrift in der Verwaltung, nach der Juristen Bürger-Infos in Schachtelsätze packen müssen? Damit sie behaupten dürfen, diese seien nur auf diese Weise juristisch verbindlich? Sicher nicht.

Ich könnte diesen Text in Einfache Sprache bringen, ohne dass Inhalte verloren gehen. Aber das muss man nicht nur wollen, sondern auch bezahlen. Seit den Berichten über Corona steht zum ersten Mal ein/e Gebärden-Dolmetscher/in neben Politikern. Sie und auch die Medien sollten aber genauso Spezialisten für die Einfache Sprache für die tägliche Aktualisierung mit ins Boot holen.

Corona: Politik schreibt Info in Leichter Sprache nicht fort

Ich habe meine Probleme mit der Leichten Sprache. Das ist meinen Blog-Lesern nicht unbekannt. Dass die Bundesregierung den Text in Leichter Sprache zeitnah veröffentlichte, war wichtig. Aber das war es, was ich dazu Positives feststellen kann. Denn dieser Text in Leichter Sprache taucht nun überall wortgleich im Internet auf. Die Verantwortlichen schreiben den Text in Leichter Sprache nicht fort. Inhalte in schwerer Sprache aktualisieren sie dagegen stündlich. Wenn es sein muss. Einmal Corona simpel erklärt, damit muss es ein- und für allemal gut sein.

Die Betreiber der Portale lehnen sich zufrieden zurück: Hallo, wir haben diesmal an die Menschen mit Lern-Schwierigkeiten/geistiger Behinderung gedacht. Schuldigkeit getan.

Corona: Aufklärung in schwerer Sprache im Stundentakt

Für den Normalbürger gibt es im Stundentakt neue Fakten in schwerer Sprache. Die Zielgruppe der Leichten Sprache kann sehen, wo sie bleibt, wenn sie auf dem Laufenden bleiben will.

  • Menschen mit Lern-Schwierigkeiten/geistiger Behinderung,
  • psychisch Kranke,
  • alte Leute,
  • Flüchtlinge etc.

müssen jemanden finden, der ihnen die Sprache der Verwaltung übersetzt. Wie das schon immer so war. Die Behörden sind nach ihrem Bekunden wie noch nie bemüht, die Bevölkerung umfassend aufzuklären. Aber aus ihrer üblichen Fachsprache finden sie in der Regel nicht hinaus. Ich kann aber nur für solche Seiten sprechen, die ich im Internet besucht habe.

Corona: Infos in Leichter Sprache geben wenig her

Der offizielle Ministeriumstext in Leichter Sprache gefällt mir nur ansatzweise. Das ist sicher Geschmacksache. Ich bin Journalist. Den journalistischen Anspruch habe ich beim Texten in Leichter und noch viel mehr in Einfacher Sprache.

Der Aufbau folgt dem Schema F. Die Autoren erklären zuerst den Begriff:

„Das wird so aus-gesprochen: Ko ro na wi rus.

Das ist ein besonderes Virus.

Ein Virus ist ein sehr kleines Teilchen.

Fachleute können es nur mit besonderen Geräten sehen.

Die Mehrzahl von Virus ist: Viren.

Von manchen Viren können Menschen sehr krank werden.“

Corona: Menschen mit Lern-Schwierigkeiten sind vor-informiert

Ich finde nicht, dass ein solcher Erklär-Einstieg die Zielgruppe ernst nimmt. In den Einrichtungen der Behindertenhilfe reden die Menschen viel über den Corona-Virus. Die Menschen mit Behinderung haben zum Teil Angst. Diese leiten sie aus den vielen Veränderungen in ihrer Umgebung ab: Die Werkstatt ist zu. In der Kantine essen sie in Schichten. Jeder fordert sie auf, möglichst oft die Hände zu waschen. Das gemeinsame Einkaufen ist gestrichen. Meistens der Höhepunkt der Woche. Eltern dürfen sie nicht mehr besuchen. 

Alles ist ungewohnt. Das verunsichert. Aus einer mir bekannten Einrichtung habe ich gehört, dass Mediziner eine Mitarbeiterin und in Folge eine 79-jährige Bewohnerin positiv testeten.

Und dann beginnt die Erklärung ernsthaft mit

„Das wird so aus-gesprochen: Ko ro na wi rus. Das ist ein besonderes Virus.“

Wirklich? In meinem Unterricht betone ich, dass der erste Satz eines Textes sitzen muss. Er muss zum Weiterlesen motivieren. Das Wichtigste kommt zuerst. Der Grundsatz gilt für Zeitungsleser genauso wie für Schlechtleser. Jedenfalls nach meiner Auffassung.

Corona: Infos in Leichter Sprache sind versteckt

Der Link zum Leichte-Sprache-Text ist auf einer Internetseite oft genug kaum auffindbar. Im Internetauftritt des Ministeriums für Soziales und Integration Baden-Württemberg ist der Link in einem ellenlangen Text über die Pandemie versteckt. Es ist der gleiche Text, den ich oben angesprochen habe. Ein Mensch mit Lernschwierigkeiten braucht also Hilfe, um die für ihn gedachte Information überhaupt finden zu können.

Die Informationsarbeit zur Corona-Pandemie ist umfangreich, aber damit nicht automatisch gut. Oder gar verständlich. Viel hilft nicht viel. Mit der Einfachen Sprache könnte es sicher besser werden. 

Dieser Text hat nach dem Hohenheimer Index einen Wert von 18,5 von 16 notwendigen Punkten.


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