Die Redaktion „Punkt und Kreis – Zeitschrift für anthroposophische Heilpädagogik, individuelle Entwicklung und Sozialkunst“ (Puk) hat bei mir einen Fachtext über die Einfache Sprache in Einfacher Sprache angefragt. Das an sich war eine Herausforderung. Vorgabe der Redaktion waren 5000 Zeichen. Das erhöhte den Anspruch zusätzlich. (hier der Text)
Ein üblicher Zeitungsartikel ist 3500 Zeichen lang. Wer hält schon 5000 Zeichen durch, wenn er grundsätzliche Probleme mit dem Lesen einfacher Texte hat? Das betrifft nicht allein Menschen mit einer kognitiven Einschränkung. Das Phänomen durchzieht die gesamte Bevölkerung. Es betrifft sogar immer mehr Studienanfänger.
Die jüngste Klage des Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz lautet:
Es wird immer schwieriger, die jungen Menschen in den Seminaren zum Lesen zu bringen. Längere Texte zu lesen und zu schreiben, falle den Studierenden schwerer. Da hat es offenbar eine erhebliche Verschlechterung innerhalb der letzten fünf Jahre gegeben.
Peter-André Alt
Einfache Sprache opfert keine Inhalte – das ist der Anspruch
Aber als Journalist bin ich es jedoch gewohnt, redaktionelle Vorgaben einzulösen, ohne diese gegenüber dem Auftraggeber zu hinterfragen. An den Vorgaben fachlich zu zweifeln, das gilt als wenig professionell. Folglich akzeptierte ich die 5000 Zeichen als Textumfang. Das Schreiben war anstrengend. Einfache Sprache, so ist mein Anspruch, darf keinen Inhalt opfern.
An jedem schweren Begriff kaue ich so lange herum, bis daraus etwas allgemein Verständliches geworden ist. Jedes extra-lange Bandwurmwort wird aufgebrochen, möglichst ohne den Bindestrich als bequeme Hilfskonstruktion zu verwenden. Also nicht Band-Wurm-Wort, sondern „ein Wort, das einem Bandwurm ähnelt“.
Der Inhalt eines Textes in Einfacher Sprache hat den gleichen Gehalt an Inhalt wie ein Text in Normalsprache. Nur minimale Abstriche werden toleriert.
Mein Anspruch
Komplizierte Inhalte sind nur schwerer Sprache darstellbar?
Ich weiß, dieser Anspruch wird als nahezu uneinlösbar in Frage gestellt. Zumindest höre ich das in vielen Gespräche heraus. Nur mit schwerer Sprache seien komplexe Sachverhalte erklärbar. Das sagen die, die ihre schweren Texte verteidigen. Sie lehnen eine Überarbeitung in die Einfache Sprache ab, weil diese nach ihrer Überzeugung inhaltlich dem Original nicht nahekommen kann. Einfache Sprache betrachten sie als Stigma.
Leichte Sprache hat es da einfacher. Niemand erwartet, dass der Inhalt einer Vorlage in schwerer Sprache in Leichter Sprache nur annähernd mitgenommen werden kann. Bei der Leichten Sprache steht im Mittelpunkt, das Regelwerk einzuhalten. Der Inhalt ist dem untergeordnet (mehr dazu in meinen 15 Pros für die Einfachen Sprache).
Von Einfacher Sprache wird doppelte Leistung erwartet – voller Inhalt, volle Verständlichkeit
Das ist meine große Schwierigkeit bei der Suche nach Aufträgen: Bietet man das Texten in Einfacher Sprache an, wird als erstes die Qualität des abgelieferten Textes am Inhalt des Originals gemessen. Von der Einfachen Sprache wird doppelte Leistung erwartet: Volle Verständlichkeit und voller Inhalt.
Bietet man hingegen Übersetzungen in die Leichte Sprache an, wird zuvorderst die Einhaltung der Regeln geprüft. Die Erwartung ist nicht vorhanden, dass der Inhalt eines Textes in Leichter Sprache dem der Vorlage auch nur annähernd entspricht. Schließlich ist Leichte Sprache für Menschen mit Lernschwierigkeiten gedacht oder für Flüchtlinge, die ganz am Anfang des Deutschkurses stehen. Das ist die Ansicht der Verfechter von Leichter Sprache. Einfache Sprache ist im Gegensatz dazu potenziell eine Form der Kommunikation für Alle (siehe mein Blogbeitrag Plain Language).
Leichte und Einfache Sprache: Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen
Der Vergleich zwischen Leichter und Einfacher Sprache ist folglich nur in Teilen zulässig. Es ist letztlich ein Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen. Leichte Sprache schließt Zielgruppen aus – außer den genannten. Einfache Sprache wendet sich an 85 Prozent der Bevölkerung – einschließlich einer großen Zahl von Menschen mit kognitiver Einschränkung und Menschen mit Migrationshindergrund.
Mein Text in Einfacher Sprache über die Einfache Sprache kam in der PuK-Redaktion unterschiedlich an. Der Testleser hat den Text nicht beanstandet. Er meinte zwar, dass der Text sehr lang sei und dadurch auch schwer zu verstehen, aber sprachlich gut verständlich.
Kritik kam hingegen von einer Kollegin im Redaktionsteam, die in Leichter Sprache durch die Universität Hildesheim geschult ist. Sie bestand darauf, dass nach 2000 Zeichen ein Text enden müsse. Insgesamt löste der Text wohl grundsätzliche Diskussionen aus. Das Vorwort spiegelt diese wider.
Im Editorial der Juni-Ausgabe steht:
Uwe Roth schreibt in seinem Beitrag über die Unterschiede zwischen Einfacher und Leichter Sprache: Leichte Sprache hat ganz klare Regeln. So klar, dass sie manchmal das Verstehen behindern. Da kann Einfache Sprache helfen. Aber auch mit einfachen Worten bleibt ein kompliziertes Thema schwer zu verstehen. Als Redaktion haben wir deshalb diesen Beitrag mit dem Hinweis versehen: „Für LeserInnen ohne Lese-Übung kann der Text schwierig zu verstehen sein. Es ist ein langer Text. Der Text beschreibt komplizierte Zusammenhänge.“
Für die Redaktion Jens Borgmann
Maßstäbe irgendwie willkürlich gesetzt
Klar dachte ich, der Maßstab ist irgendwie willkürlich gesetzt. Das Gender-Sprache („LeserInnen“) von allen verstanden wird, setzt die Redaktion bedenkenlos voraus (siehe dazu meinen Blogbeitrag Gender und Einfache Sprache). Tatsächlich ist es so, dass das gesamte Layout der Zeitschrift sowohl der Leichten als auch Einfachen Sprache zuwiderläuft: Verwendet wird eine Serifenschrift mit zu geringer Schriftgröße. Die Spaltenbreite ist zu groß. In der Zeitungssprache ist es eine Bleiwüste. Einfache Sprache funktioniert so nicht – egal wie lang oder kurz der Text ist.
Ich verfolge einen ganzheitlichen Ansatz der Einfachen Sprache, die die Darstellung/Präsentation optisch und mündlich mit einschließt. In den meisten Veröffentlichungen von Texten in Leichter/Einfacher Sprache wird der Aspekt der Darstellung ignoriert. Eine Redaktion kann Texte in Einfacher Sprache anfordern, auf die Grafik hat sie meistens keinen Einfluss. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Insofern hat die Einfache Hürde gleich zwei Hürden zu überwältigen:
Einfache Sprache muss dem Stigma Behinderten-Sprache entkommen.
Einfache Sprache muss soweit an Akzeptanz gewinnen, dass sie im Internet oder auf Papier entsprechend den Anforderungen (bsp. an die Schriftgröße) dargestellt wird.
Weiter zu dem im Magazin PuK veröffentlichten Text
Schreibe einen Kommentar