Laut Google-Statistik meiner Webseite stehen Begriffe, die das Für und Wider der Leichten und Einfachen Sprache umreißen, im Interesse der Suchenden an erster Stelle. Das sind Google-Eingaben wie „leichte Sprache pro und contra“, „Kritik leichte Sprache“ oder auch „leichte Sprache Kritik“. Als nächstes folgt im Ranking „Gendern leichte Sprache“ und „Gendern Einfache Sprache„. Ich gebe es zu, es ist meine Absicht, eine Diskussion über den Sinn doppelter Strukturen in Gang zu bringen. Der Dialog ist wichtig und notwendig. Aufklärung tut Not. Je länger ich mich damit beschäftige, umso mehr komme ich zur Überzeugung, dass es wenig Sinn macht, die Leichte und Einfache Sprache dauerhaft parallel weiterzuentwickeln.
Siehe auch meine Angebote
Daher plädiere ich in einem meiner jüngsten Blogs, die Leichte und Einfache Sprache zu vereinen. Das Ergebnis der Fusion sollte dann Einfache Sprache genannt werden. Diese wird zusätzlich von einer internationalen Norm (ISO Plain Language) gestützt. Ich zeige in meinen Textaufträgen, dass die Einfache Sprache das Sprachniveau der Leichten Sprache abdeckt. Umgekehrt geht das nicht.
Was ist mit Menschen mit Lernschwierigkeiten, die die Einfache und nicht die Leichte Sprache wollen?
Mein Blog hat einige Reaktionen ausgelöst. Es gab zustimmende, aber – auch erwartbar – ablehnende Kommentare. Letztere kamen überwiegend von Übersetzer*innen der Leichten Sprache und vor allem von solchen, die mit Gegenlesenden zusammenarbeiten. Auch zu den Gegenlesenden habe ich meine Meinung in einem Blog kundgetan. Mir wird von Kritiker*innen häufig vorgehalten, dass sich Leichte Sprache an die spezielle Zielgruppe Menschen mit Lernschwierigkeiten/geistiger Behinderung oder auch Menschen nach einem Schlaganfall richtet. Einfache Sprache sei für Schlechtleser. Das seien zwei völlig getrennte Dinge.
Siehe auch Leichte Sprache in der Kritik
Siehe auch 15 Pros für die Einfache Sprache
Diese Trennung ist aus meiner Sicht unnötig. Und zum Teil stigmatisierend. Ich kenne Menschen, die in einer Wohneinrichtung für Menschen mit Behinderung leben bzw. in einer Werkstatt der Behindertenhilfe arbeiten. Ich muss zwei-, dreimal hinhören, um eine kognitive Einschränkung zu erkennen. Die Einfache Sprache beherrschen die locker. Die sind genervt von den Stakkato-Sätzen, die mit den immer gleichen Illustrationen garniert sind. Gleichzeitig erlebe ich im Discounter Menschen, für die Leichte Sprache eine Herausforderung ist.
Aber es kann doch nicht sein, dass man eine Information aus der Normalsprache in die Leichte und in die Einfache Sprache bringen muss, um wirklich alle Menschen zu erreichen? Menschen mit Lernschwierigkeiten ausschließlich mit Leichter Sprache zu bedienen, ist auf die Zukunft betrachtet jedenfalls zu wenig.
Diskussion auf Xing – Plädoyer für Leichte Sprache – meine Reaktion darauf
In Xing hat eine Kollegin eingereichte Fragen zur Leichten Sprache beantwortet. In einer ihrer Antworten bekräftigte sie, dass sie eine entschiedene Gegnerin meiner Forderung nach einer Fusion sei. Ich fühle mich angesprochen und antworte in dem nachfolgenden Kommentar. Da Xing lediglich sehr kurze Kommentare zulässt (vielleicht gilt das auch nur für Basic-Mitglieder wie mich), stelle ich meinen Wortbeitrag hier online. Die Kollegin führt als ein gelungenes Beispiel das Wahlprogramm der SPD-Baden-Württemberg in Leichter Sprache an. Dieses sei mit Gegenlesenden entstanden. Darauf gehe ich zu Beginn meines Kommentars ein:
Auch hier stelle ich wieder die Frage: Welcher Mensch mit Lernschwierigkeiten, der nur die Leichte Sprache versteht (und nicht die Einfache Sprache), hat das Durchhaltevermögen, 40 Seiten Wahlprogramm durchzustehen? Davon wird es nur sehr wenige geben. Auf diese Eingangsfrage habe ich von harten Verfechter*innen der Leichten Sprache noch nie eine Antwort erhalten. Woran liegt’s?
Siehe auch Leichte Sprache: kurzer Satz, langer Text – das passt nicht zusammen
Geübte Gegenleser sind kein Maßstab. Ich übe das immer wieder mit der Zielgruppe. Wer kaum Lese-Kondition hat (was der Normalfall sein dürfte), gibt nach wenigen Seiten auf.
Viel sinnvoller ist ein Wahlprogramm in Einfacher Sprache für alle Bürger*innen. Das wird Menschen mit Lernschwierigkeit auf Wunsch vorgelesen und besprochen. Das funktioniert. Seit mehreren Jahren gebe ich Lese-Stunden in Einfacher Sprache. Ich habe gelernt: Menschen, die wenig lesen können, verstehen die Einfache Sprache aber recht gut.
Niemand weiß, ob Leichte Sprache bei den Adressaten überhaupt ankommt
Im Rahmen eines SPD-Workshops habe ich einen Abschnitt des Programms zur Bundestagswahl in die Einfache Sprache gebracht. Das kam sehr gut an. Das Programm war zu diesem Zeitpunkt aber schon verabschiedet.
Leider lässt sich nicht herausfinden, wie viele Menschen mit Lernschwierigkeiten in Baden-Württemberg die für sie gedachte Broschüre tatsächlich (vollständig) gelesen haben.
Leider gibt es bisher keine Untersuchung insgesamt dazu. Wie viele Menschen mit Lernschwierigkeiten, die nur die Leichte Sprache lesen können, kommen mit Google zurecht oder können auf einer Internetseite in Normalsprache navigieren? Ich fürchte, viele Texte in Leichter Sprache werden mit großem Aufwand produziert und am Ende so gut wie nicht wahrgenommen.
Wenn es gut läuft, werden wir eine DIN Leichte Sprache und eine DIN Einfache Sprache bekommen. An entscheidenden Stellen gleichen sich beide stark. Wenn in der einen steht, ein Satz sollte nicht mehr als 8 Wörter haben und in der anderen nicht mehr als 20. Das ist doch nur verwirrend…
Uwe Roth ist Mitglied im Verein Deutsches Institut für Normung (DIN). Dort entstehen zwei Regelwerke: Eine DIN Spec 33429 Leichte Sprache sowie eine DIN 8581-1 Einfache Sprache. Uwe Roth arbeitet an beiden Regelwerken intensiv mit. Zusätzlich entsteht auf internationaler Ebene eine ISO 24495 Plain Language (Einfache Sprache). Diese wird in einer DIN umgesetzt. Zu meinem Blog.
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