Innenansicht der Stadtbibliothek Stuttgart. In zahlreichen Büchereien gibt es Bücher in Einfacher Sprache. Foto: Uwe Roth

Fachtext Einfache Sprache in Einfacher Sprache Teil 2

Lesedauer 4 Minuten

Mein Artikel ist erschienen in der Juni-Ausgabe 2019 von „Punkt und Kreis – Zeitschrift für anthroposophische Heilpädagogik, individuelle Entwicklung und Sozialkunst“. 

Ich habe die Zwischenüberschriften zur besseren Verständlichkeit nachträglich eingefügt. 

Meine Erläuterung zur Veröffentlichung

Einfach statt kompliziert

Die meisten kennen die Leichte Sprache. Sie wird in der Behindertenhilfe verwendet. Doch immer öfter heißt es Einfache Sprache. Die Großbuchstaben L und E signalisieren das Besondere beider Sprachformen. Dieser Text macht deutlich, warum die Einfache Sprache in der Zukunft für alle notwendig ist.

Er erklärt, warum Leichte Sprache daran scheitert, die allgemein sinkende Fähigkeit fürs Lesen und Schreiben aufzufangen. Der Autor hat diesen Text in Einfacher Sprache geschrieben. Er hofft, ihm ist eines gelungen zu zeigen: Ein schwieriger Inhalt kann leicht verständlich aufbereitet worden.

Einfache Sprache möchte alle erreichen

In wenigen Sätzen lässt sich der Unterschied zwischen den beiden Formen der Sprache schlecht erläutern. Auf den ersten Blick ist die Einfache Sprache eine Weiterentwicklung. Sie ist im Vergleich zur Leichten Sprache umfassender im Wortschatz und in der Grammatik.

Doch die Einfache Sprache bedeutet sehr viel mehr. Wer in dieser Form schreibt, möchte mit seinen Texten alle Menschen erreichen. Die Leichte Sprache reicht dafür nicht aus. Mit den höchstens zwölf kurzen Worten, die in einem Satz erlaubt sind, kann man fast gar nichts sagen. Nebensätze sind nicht erlaubt.

Gesetz spricht nur einmal von „Leichter Sprache“

Allein diese zwei Regeln schränken die Freiheit beim Schreiben stark ein. Inhalte können in Leichter Sprache kaum vermittelt werden. Im Gesetz des Bundes zur Teilhabe kommt der Begriff „Leichte Sprache“ nur einmal vor. Der Werkstattrat kann von der Geschäftsführung einen Bericht in Leichter Sprache verlangen.

Doch was soll darin stehen? Vielleicht das: Die Werkstatt verkauft viele Produkte. Dafür geben die Kunden der Werkstatt Geld. Damit geht es allen gut. Die Form der Vergangenheit ist in der Leichten Sprachen nicht erlaubt. Deswegen stehen die Sätze in der Gegenwart. Aber wem ist damit gedient?

Gut Lesen bedeutet ständiges Training

Tatsache ist, in Deutschland sind immer mehr Menschen schlechte Leser. Sie können wenig und kaum fehlerfrei schreiben. Jungen und Mädchen verlassen die Grundschule, ohne in den vier Jahren Lesen und Schreiben gelernt zu haben. Das hat eine Studie ergeben, die im April 2019 vorgestellt wurde. Professoren berichten von Studierenden, die lange und schwere Texte nicht verstehen und deswegen bei Prüfungen scheitern.

Wer gut lesen möchte, der muss diese Fähigkeit üben. Wer damit aufhört, schafft irgendwann nur noch kurze Texte. Ein dickes Buch zu lesen ist wie ein Marathon. Wer keine Fitness hat, der erreicht nicht das Ziel. Junge Menschen lernen, sich über ihr Smartphone in kurzen Nachrichten zu verständigen. Statt Wörter verwenden sie oft Bilder. Die Emojis. Rechtschreibung und Grammatik spielen keine Rolle mehr.

Wird die Fähigkeit Lesen und Schreiben noch gebraucht?

Man kann verlangen, Menschen sollen Lesen und Schreiben besser trainieren. Das wird nicht funktionieren. Computer verstehen Sprache. Computer sprechen. Und das sogar in Einfacher Sprache: „OK.Google“ und „Alexa“ antworten in kurzen Sätzen. Das Niveau der Sprache ist nicht hoch, auf dem der Computer antwortet. Warum sollen Menschen in der Zukunft viel lesen und schreiben können?

Man kann davon ausgehen, dass Texte in schwerer Sprache immer weniger verstanden werden. Das müssen alle zu Kenntnis nehmen, die Menschen informieren wollen und müssen. Wer Menschen mit Worten nicht mehr erreicht, bekommt ein großes Problem. Er muss folglich von seiner hohen Ebene der Sprache auf eine tiefere gehen. Seine Botschaften kommen nur dann weiter an.

Einfache Sprache wird von 85 Prozent der Menschen verstanden

Einfache Sprache füllt die breite Lücke zwischen der schweren Sprache und der Leichten Sprache. Man sagt, Einfache Sprache wird von 85 Prozent der Menschen verstanden. Sie orientiert sich an der Leichten Sprache. Die Sätze sind klar aufgebaut und so kurz wie möglich. Wenn möglich, steht das Subjekt am Satzanfang. Nebensätze sind die Ausnahme. Fachbegriffe werden umschrieben. In einem Satz steht das Notwendige. In der deutschen Sprache werden Texte oft ohne Not aufgebläht.

Lange Wörter werden aufgebrochen. Aus dem Behindertengleichstellungsgesetz wird das Gesetz zur Gleichstellung der Behinderten. Das ist immer noch nicht leicht zu verstehen. Aber es liest sich besser. Die Texte des Gesetzgebers und der Justiz sind die Feinde der Einfachen Sprache.

Flüchtlinge lernen mit Einfacher Sprache schneller Deutsch

Einfache Sprache klammert sich nicht an das Regelwerk der Leichten Sprache. Diese steht in der Kritik. Denn das Beachten der Regeln ist das oberste Kriterium für Qualität. Nicht die Kreativität des Schreibens. Einfache Sprache stellt dagegen den Menschen in den Mittelpunkt, für den der Text geschrieben ist.

Die Einfache Sprache hat mit der Zuwanderung von Flüchtlingen an Bedeutung gewonnen. Sie lernen schneller die deutsche Sprache, wenn Behörden mit ihnen in Einfacher Sprache kommunizieren. Das ist noch lange nicht Standard. Die Alternative zur Sprache der Behörde ist oftmals ein Blatt mit Informationen auf Englisch oder Arabisch.

USA: Plain Language für alle Bürger

Auch Menschen mit einer psychischen, Seh- oder Hörbehinderung profitieren von der Einfachen Sprache. Sie erleichtert Gebärdendolmetscher die Arbeit. Der frühere US-Präsident Barack Obama hat 2010 eine Anweisung unterschrieben. Die Bundesbehörden sollen sich mit allen Bürger in Einfacher Sprache (Plain Language) austauschen. Eine solche Vorschrift für die Ministerien und Behörden des Bundes gibt es auch in Deutschland. Sie beschränkt sich aber auf Menschen mit Behinderung.

Beim Schreiben von Texten in Einfacher Sprache Inhalte nicht zu verlieren, das ist die größte Herausforderung. Es kostet vor allem Zeit. Von Johann Wolfgang von Goethe stammt das Zitat: „Ich schreibe dir einen langen Brief, weil ich für einen kurzen keine Zeit hatte.“ Menschen, die schlecht lesen und schreiben können, verdienen Respekt. Dabei ist es egal, ob sie ihr Unvermögen selbst verschuldet haben. Jeder sollte sich die Zeit nehmen, an der eigenen Sprache zu arbeiten, um von allen verstanden zu werden. Uwe Roth

Hintergründe zur Veröffentlichung

 

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