Geht Wissenschaft verständlich? Ja sagt ein internationales Gremium, das die ISO 24495 Einfache Sprache/Plain Language entworfen hat. ISO plant Regeln für die Wissenschaft. Was Wissenschaftler*innen beim Texten im Einzelnen beachten müssen, steht in Teil 3 der Norm (ISO 24495-3). Dieser ist noch in Arbeit. Das englische Original liegt als deutsche Übersetzung im Entwurf vor. Ich (Uwe Roth) bin beim Verein Deutsches Institut für Normung Mitglied in dem Gremium, das die ISO an die deutsche Sprache anpasst.
Das ISO-Original ist an manchen Stellen weit entfernt von Plain Language, also von Einfacher Sprache. In vielen Sätzen sind Inhalte stark komprimiert. Das macht es auch bei guten Englisch-Kenntnissen schwer, den Text flüssig zu lesen und zu versehen. Die Gremien der ISO haben regelmäßig die Regel gebrochen, jeden Satz auf eine Informationseinheit zu beschränken. Mancher Abschnitt ist mit komplexem Inhalt vollgestopft. Aus langen Sätzen mit Aufzählungen (getrennt durch Kommas) hätte man auch übersichtliche Listen machen können. Darauf haben die Autor*innen verzichtet.
Übersetzung darf sprachlich nicht verändert werden
Die Anpassung der ISO 24495-3 an das Deutsche unterliegt strenge Regeln der Normungsinstitute:
- Wir sind beim DIN e. V. in der Schluss-Redaktion für die Übernahme der ISO ins Deutsche verpflichtet, mit unseren Korrekturen in keinem Fall vom Original abzuweichen.
- Wir dürfen das weder inhaltlich (was verständlich ist) noch sprachlich (was ich als Journalist schwer akzeptieren kann).
- Wir können nur prüfen, ob die Übersetzung das Original zu 100 Prozent trifft.
In der Schluss-Redaktion sind gute (Online-)Bekannte, mit denen ich über mehrere Jahre die DIN 8581-1 entworfen habe. Dort stehen als Ergänzung zur DIN ISO die sprachlichen Regeln für das Deutsche. Die ISO unserer DIN anzupassen, kommt zu meinem Bedauern nicht in Frage. So bleibt schwere Sprache schwere Sprache.
Siehe auch Wissenschaft schätzt Einfache Sprache
Warum muss man in der Wissenschaft elitär schreiben?
Ich habe damit ein grundsätzliches Problem:
Fachleute, erklären anderen, was verständliche Kommunikation bedeutet. Sie tun das in einer Sprache, die kaum jemand versteht.
Uwe Roth, Experte für die Einfache Sprache
Dafür gibt es mehrere Erklärungen: Sie tun das, weil
- sie mit der Sprache der Wissenschaft ihrer Aussage eine höhere Bedeutung geben wollen
- sie gar nicht merken, wie kompliziert sie sich ausdrücken
- sie gar nicht in der Lage sind, sich allgemein-verständlich auszudrücken
- Abgehobenheit im elitären Kreis der Wissenschaft Tradition hat.
Ich bin überzeugt, dass sich wissenschaftliche Aussagen in Einfacher Sprache verfassen lassen – ohne dass Inhalte verloren gehen. In meinen Workshops trainiere ich, mit Einfacher Sprache Wissen verständlich zu machen. Meine Botschaft dazu lautet:
Fachleute stellen beim Training in Einfacher Sprache nicht ihr Fachwissen auf den Prüfstand, sondern ihre Fachsprache.
Uwe Roth, Experte für die Einfache Sprache
Das klingt aus meiner Sicht logisch. Doch die von mir Angesprochenen sehen das vielfach anders. Sie sehen das als Angriff auf ihre Autorität.
Eine Theorie wird traditionell in Fachsprache gegossen
Nicht selten verweigern sie eine Diskussion darüber. Zuletzt passierte das im Dialog mit Mitarbeitenden des Schulz von Thun Instituts für Kommunikation nach einem Post auf LinkedIn. Friedemann Schulz von Thun ist der Erfinder des 4-Ohren-Modells. Er beschäftigt sich seit Jahrzehnten damit, wie Sprache verstanden wird.
Ich ging davon aus, dass das Konzept der Einfachen Sprache für das Schulz von Thun Institut von Interesse sein müsste. Aus meiner Sicht hat es sich über die Jahre eine Fachsprache zugelegt. Wer das Modell kennenlernen möchte, muss Verständnishürden überwinden. Nimmt man das 4-Ohren-Modell (oder Kommunikationsquadrat) zum Maßstab, verhindert Einfache Sprache Missverständnisse in den Ich-Botschaften. Das wollte ich diskutieren. Doch daran bestand wohl kein Interesse.
Siehe auch Literatur in Einfacher Sprache für erfolgreiches Studieren
„Fachleute erwarten von den Medien, dass diese ihre komplizierte Sprache übersetzen, damit Wissenschaft für alle verständlich wird. Aus meiner journalistischen Sicht ist das jedoch nicht meine Aufgabe. Meine Aufgabe ist es, so lange nachzufragen, bis mir die Expertinnen und Experten eine Antwort geben, die ich selbst verstehe und in einem journalistischen Text wiedergeben kann. Die Verantwortung für eine allgemein verständliche Darstellung ihres Wissens liegt bei den Fachleuten selbst. Nur sie können beurteilen, wann eine vereinfachte Formulierung noch korrekt ist – und wann sie den Inhalt verfälscht.“
Uwe Roth, Experte für die Einfache Sprache
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