Im Internet kursieren irreführende Angebote von Agenturen, Inhalte in die Leichte Sprache zu bringen, um dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) Rechnung zu tragen. Ich habe das eigentliche Gesetz und die dazugehörige Verordnung Gesetz gelesen und festgestellt, dass darin nirgendwo Leichte Sprache genannt wird. Also: Leichte Sprache ist kein Teil des BFSG.
Tatsächlich empfehlen solche Agenturen, dass Unternehmen jede (also wirklich jede) Information in zwei Sprachformen zur Verfügung stellen sollen:
- Leichte Sprache (Sondersprache) und
- Normalsprache/Standardsprache.
Dies ist keinem Unternehmen zuzumuten. Sie können aber auch, die gesetzliche Vorgaben mit der Einfachen Sprache erfüllen. Ich zeige, wie es geht.
BFSG ist schlampig gemacht
Ich hatte am Donnerstag (18.07.24) ein Webinar zum „Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (#BFSG) und Einfache Sprache“ mit über 20 sehr interessierten Teilnehmenden. Danke für die hohe Aufmerksamkeit und an #ComLab, das mir für mein Thema den Online-Campus zur Verfügung gestellt hat.
Das Gesetz zur Stärkung der Barriere-Freiheit besteht aus zwei Teilen:
- das eigentliche Gesetz (BFSG) und
- eine Verordnung für die Umsetzung (BFSGV).
BFSG und BFSGV sind aus meiner Sicht schlampig gemacht. Beide lassen viele Fragen offen. Dessen Inhalte umzusetzen, gleicht dem Versuch, Pudding an die Wand zu nageln.
Gleichzeitig kursieren Nachrichten, dass Bußgelder in Höhe von bis zu 100.000 Euro drohen, sollte ein Unternehmen bis Mitte 2025 bestimmte Informationen nicht barrierefrei zugänglich gemacht haben. Das verunsichert Unternehmen zu recht.
„Leichte Sprache“ taucht nicht als Begriff auf
In Seminaren wird Unternehmen die Leichte Sprache als vermeintlich einzige rechtlich zulässige Lösung angeboten. Doch im BFSG steht darüber nichts. Der Begriff ist dort nicht zu finden. Leichte Sprache ist kein Teil BSFG. Auch nicht die vermeintlichen Adäquate A1/A2.
Folglich besteht keine gesetzliche Verpflichtung, Informationen in die Leichte Sprache zu bringen. Leichte Sprache – kein Teil des BFSG. Das Gegenteil sollte sich kein Unternehmen einreden lassen.
Für die Unternehmen wäre das blöd, wenn Leichte Sprache ein Teil des BFSG wäre:
- Sie müssten jeden Text sowohl in Standard- als auch in Leichter Sprache zugänglich machen. Alles doppelt gemoppelt – das würde mehr Verwirrung schaffen anstatt Barriere-Freiheit.
- Eine einzige Fassung ausschließlich in Leichter Sprache für sämtliche Nutzer*innen eines IT-Gerätes bzw. einer Dienstleistung ist erst recht kein gangbarer Weg, dem BFSG gerecht zu werden.
Weil der Gesetzgeber keine Angaben macht, was nach dem BFSG „verständlich“ für das Texten bedeutet, kursieren Interpretationen. Oft wird empfohlen, sich an der Leichten Sprache zu orientieren – oder an der Leichten Sprache. Die Tagesschau Redaktion hat mit ihrem Angebot Nachrichten in Einfacher Sprache gezeigt, dass eine solche „Orientierung“ in die Hose gehen kann.
Siehe auch Tagesschau reagiert gereizt auf Kritik an Einfacher Sprache
BFSG: Nutzen für hör- und seh-behinderte Menschen
Wer das Gesetz analysiert, stellt fest, in erster Linie haben die Autor*innen an Menschen mit einer Hör- oder Seh-Behinderung gedacht. Zwar werden im Gesetz Menschen mit „seelischer, geistiger“ Behinderung erwähnt. Doch über barrierefreie Kommunikation speziell für Menschen mit Lernschwierigkeiten/geistiger Behinderung ist aus der BFSG-Verordnung nichts herauszulesen. An diesen Personenkreis wurde wahrscheinlich gar nicht gedacht. Beim Begriff „verständlich“ im Gesetzestext automatisch an Leichte Sprache zu denken, ist eine sehr freie Interpretation.
Ich zeige Ihnen, wie Sie mit Einfacher Sprache die Vorgaben des BFSG sehr gut erfüllen können, ohne Bußgelder befürchten zu müssen.
Wen betrifft das BFSG?
- Das BFSG betrifft die „barrierefreie Ausstattung“ von:
- Computer, Notebooks, Tablets, Smartphones
- Fernsehgeräte mit Internetzugang
- E-Book-Reader
- Dienstleistungen wie:
- Telefondienste
- Messenger-Dienste
- in Apps angebotene Dienstleistungen im überregionalen Personenverkehr
- Bankleistungen
Für welche Zielgruppe ist das BFSG?
Laut Paragraf 2 BFSG Begriffsbestimmungen – Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) sind
„Menschen mit Behinderung“ Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können; als langfristig gilt ein Zeitraum, der mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauert (…).“
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