Kann eine Universität eine Studie zur Leichten und Einfachen Sprache veröffentlichen, ohne darin die Normen zu behandeln? Offensichtlich schon. Ein Team aus Forschenden der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt hat dies unter dem Titel „Journalismus leicht verständlich“ auf knapp 90 Seiten getan. Auf diesen finden sich keine Zeile zur DIN SPEC 33429 Leichte Sprache, keine Einordnung des Themas hinsichtlich der DIN 8581-1 sowie DIN ISO 24495-1 Einfache Sprache/Plain Language. Meine Kritik an der Studie: Eine klare Unterscheidung von Leichter und Einfacher Sprache ist für eine seriöse Forschung unerlässlich.
Die Forschenden ignorieren schlicht, dass sich Expertinnen und Experten weltweit Gedanken gemacht haben, wie Verständlichkeit in Dokumenten gelingt, also auch in journalistischen Texten. Die ISO Plain Language erhebt den Anspruch, bei nahezu allen Schriftsprachen weltweit anwendbar zu sein. Die Tagesschau bietet ein Nachrichten-Angebot in Einfacher Sprache an. Sonja Wielow aus der Redaktion betont in ihrem Beitrag zur Studie, dass diese sich an „die DIN-Norm für Einfache Sprache hält“. Doch dieser Hinweis bleibt in der Publikation isoliert stehen.
Siehe auch 15 Lehren aus der Tagesschau in Einfacher Sprache
Siehe auch ISO plant Text-Regeln für Wissenschaft
Hätte das Team rund um die Professorin Dr. Friederike Herrmann die Normen bei der Definition ihres Forschungsgegenstands berücksichtigt, hätte dieser an Schärfe gewonnen. So schreiben sie mal von Leichter, dann wieder von Einfacher Sprache bzw. von „Leichter oder Einfacher Sprache“, ohne auf die grundlegenden Regeln fürs Texten einzugehen. An einer Stelle stellen die Autor*innen fest: „Einfache Sprache ist komplexer als Leichte Sprache und kommt einer breiteren Adressat:innenschaft zugute. Ihr Regelwerk ist weniger streng.“
Leichte und Einfache Sprache haben unterschiedliche Aufgaben
Das ist insofern nicht richtig, da die Einfache Sprache mit der DIN 8581-1 ein offizielles Regelwerk hat, nach dem Texte zertifiziert werden können. Die DIN SPEC 33429 Leichte Sprache ist hingegen eine Empfehlung für eine Norm, keine Norm. Die Empfehlung definiert die Leichte Sprache als Sondersprache ausschließlich für Menschen mit Lernschwierigkeiten (kognitiver Behinderung). Die Einfache Sprache gehört zur Standardsprache für eine breite Öffentlichkeit. Sie hat nichts mit einer Lese-Schwäche in irgendeiner Form zu tun.
Die Forschenden vergleichen in ihrer Gegenüberstellung von Leichter und Einfacher Sprache Äpfel mit Birnen. In aller Kürze: Leichte Sprache vereinfacht für Menschen mit Lernschwierigkeiten (kognitiver Behinderung) Standardsprache. Einfache Sprache macht (Fach-)Wissen für alle verständlich. Leichte und Einfache Sprache haben unterschiedliche Aufgaben. Die Studie berücksichtigt diese fundamentale Unterscheidung nicht.
Siehe auch Warum DIN SPEC Leichte Sprache gescheitert ist
Auswahl der interviewten Personen methodisch unsauber
Die Unschärfe wirkt sich auf ihre Studie aus: In deren Zentrum stehen 28 Interviews mit Menschen, deren „Literalität eingeschränkt“ ist. So definieren die Forschenden ihre Zielgruppe. Literalität, das klingt zum einen wissenschaftlich, obwohl der Begriff strenggenommen sehr schwammig ist. Zudem soll er wahrscheinlich möglichst diskriminierungsfrei klingen. Mir ist weiter aufgefallen: Die Auswahl der Menschen für die Interviews ist methodisch falsch: Denn die Forschenden haben neben „Personen mit kognitiver Einschränkung“ auch „Menschen mit Migrations- oder Fluchtgeschichte“ befragt sowie Menschen ohne kognitive Behinderung, die aber erst im Erwachsenen-Alter Lesen und Schreiben gelernt haben.
Das aber sind zwei unterschiedliche Gruppen:
- die kognitive Behinderung von Menschen ist nicht umkehrbar
- die Lese-Probleme Deutsch lernender Menschen verschwinden mit der Zeit.
Deutsch-Lernende lesen schlecht, sind kognitiv nicht eingeschränkt. Das wird in der Studie nicht hinreichend herausgestellt. Das wäre so, als würde eine Person im Rollstuhl und eine mit gebrochenem Bein zur Barrierefreiheit befragt. Die Aussagen sind nicht vergleichbar. Ob mangelnde Lese-Kompetenz wegen einer kognitiven Behinderung oder wegen fehlender Praxis: Bei der Zuordnung von Themen für Texte in Leichter oder Einfacher Sprache ist der Unterschied entscheidend.
Siehe auch https://leichtgesagt.eu/2025/06/einfache-sprache-einfach-fuer-alles/
Gruppe Menschen mit kognitiver Behinderung ist heterogen – die Studie ignoriert das
Die Studie ist für Menschen im Journalismus gedacht. Menschen mit und ohne kognitive Einschränkung gleichermaßen in Betracht zu ziehen, hilft Journalist*innen bei der Wahl der Themen und beim Texten nicht. Deutsch-Lernende können prinzipiell jedes Thema verstehen (sie sind ja nicht kognitiv eingeschränkt). Man muss es ihnen nur in verständlichen Sätzen erläutern.
Bei Menschen mit einer kognitiven Behinderung ist die Wahl der Themen sehr stark eingeschränkt. Selbstverständlich gibt es Personen, die sich zum Beispiel für Politik interessieren. Aber die sind fitter als der Durchschnitt. Fachkräfte aus der Behindertenhilfe bestätigen mir, dass sich die Interessierten von der Leichten Sprache oftmals nicht ernstgenommen fühlen.
Kann die Studie überhaupt repräsentativ sein?
Eine weitere Schwäche der Studie liegt darin, dass die Forschenden die „Personen mit kognitiver Einschränkung“ als homogene Gruppe darstellen. Laut der Studie gelten „rund 6,2 Millionen Erwachsene in Deutschland als gering literalisiert“. Wie können da 28 Interviewte repräsentativ sein? Tatsächlich fällt es schwer, innerhalb der gewählten Zielgruppen Personen zu finden, die als repräsentativ für ihre Gruppe gelten könnten.
Menschen mit einer schweren kognitiven Behinderung können nur einfachste Sätze lesen (bzw. sich vorlesen lassen), die einen konkreten Bezug zu ihrem Leben haben. Andere besuchen trotz ihrer kognitiven Behinderung eine Regelschule und erreichen einen Abschluss. Migrant*innen, die bei der Befragung wenig Deutsch können, können später eine Professoren-Stelle bekommen. Dazwischen gibt es unzählige Varianten des Verstehens. An wen haben die Forschenden gedacht?
Wissenschaft und Einfache Sprache funktioniert – ohne Verlust an Wissen
Die Otto Brenner Stiftung hat der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt die Studie finanziert. Die für die Kommunikation zuständige Abteilung der Stiftung hat mit der Überschrift zur Pressemitteilung, „Leichte Sprache im Journalismus als Schlüssel für demokratische Teilhabe“, aus meiner Sicht das Thema komplett verfehlt. Offensichtlich hat man sich mit der Studie nicht näher beschäftigt. Vielleicht war diese zu schwierig geschrieben. Zwar ist der Auswertung eine Zusammenfassung in Leichter Sprache vorangestellt. Doch gibt sie nur einen Bruchteil des Inhalts wieder. Auch hier greift mein Vorwurf an die Wissenschaft, die sich mit Kommunikation beschäftigt: Sie verlangt von Dritten Verständlichkeit (hier von den Medien), besteht selbst auf High-End-Fachsprache (hier Literalität). Wer sagt bei dem Studien-Titel spontan, was für ein spannendes Thema?
Die Forschenden sollten sich mit der ISO 24495-3 Plain Language und dem Einbezug von Wissenschaftssprache beschäftigen. Wir arbeiten bei DIN e. V: aktuell an der Übertragung ins Deutsche. Die Norm besagt, Wissenschaft und Einfache Sprache funktioniert, ohne dass Wissenschaft verloren geht.
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