Leichte und Einfache Sprache: Wer will die DIN tatsächlich?

Lesedauer 4 Minuten

Die DIN 8581-1 Einfache Sprache wurde im April 2024 veröffentlicht. Die DIN ISO 24495-1 Einfache Sprache (Plain Language) ist fertig. Die DIN Spec 33429 Leichte Sprache wird noch eine Weile auf sich warten lassen. Inzwischen frage ich mich: Wer will die Normen tatsächlich?

Das war die ursprüngliche Idee: Expert*innen haben die Aufgabe, die zahlreichen nicht autorisierten Regelwerke in jeweils einer eigenen Norm zu vereinen. Insgesamt drei offizielle Normen sollen für den deutsch-sprachigen Raum ein gemeinsames Verständnis von Verständlichkeit schaffen. Sie sollen Ausschreibungen für das Erstellen von Texten erleichtern. Denn was bedeutet ein Anforderungskriterium „wir erwarten verständliche Texte“? Das ist subjektiv. Eine DIN macht die Prüfung von Texten vergleichbar.

Es ist etwa drei Jahre her, als die redaktionelle Arbeiten dazu begonnen haben. Unzählige Stunden habe ich mit Menschen online verbracht, um an den Entwürfen zu arbeiten. Das war und ist harte Arbeit. Als Solo-Selbständiger muss ich betonen, dass die Mitarbeit beim Verein DIN ehrenamtlich ist. Ich zahle einen dreistelligen Mitgliedsbeitrag.

Aber das ist es mir wert.

Ich werde mich weiter dafür einsetzen, dass insbesondere die Normen für die Einfache Sprache den Respekt erhalten, den sie verdienen. Am Sinn der Leichten Sprache zweifle ich inzwischen. Ich bin überzeugt, wer sich beim Schreiben an die Regeln der Einfachen Sprache hält, wird allen Menschen das Lesen und Verstehen von Texten mit komplexen Inhalten leichter machen. Die Lese- und Schreibkompetenz geht weltweit zurück. Der Abwärtstrend ist unaufhaltbar. ChatGPT und andere KI-Programme beschleunigen die Entwicklung.

Einfache Sprache ist moderne Kommunikation. Mein Motto. Auch im Journalismus.

Unternehmen und Verwaltungen sollten erkennen, warum Einfache Sprache klug für sie ist.

Verständlichkeit ist im Gegensatz zu DIN A4 nicht messbar

Es war vorauszusehen, dass Normen fürs Schreiben zu finden, eine besondere Herausforderung ist. Ein DIN A4-Blatt ist ein DIN A4-Blatt – überall auf der Welt. 21 Zentimeter breit, 29,7 Zentimeter hoch. Wer sich an die Maße nicht hält, bekommt Probleme mit seinem/ihrem Drucker oder einem Briefumschlag. Verständlichkeit ist dagegen nicht technisch messbar. Eine DIN ändert daran im Wesentlichen nichts. Dennoch ist sie wichtig, weil sie ein starkes Signal dafür ist, dass Verständlichkeit keiner Beliebigkeit unterliegt. Die DIN sensibilisiert und gibt Orientierung.

Auch Text-Analyse-Programme erfassen lediglich einen Teil dessen, was unterm Strich Verständlichkeit ausmacht. Sie erfassen die subjektiven Kriterien nicht – allem voran nicht die Lese-Erwartung, die den Aufbau und die inhaltliche Struktur eines Textes bestimmt. Kürzlich erhielt ich von einer Kundin einen Text zur Begutachtung. Sie hat sich an die gängigen Regeln gehalten und einen sagenhaften HIX von 19 erzielt. Ich musste dennoch einiges umschreiben, weil der Text an vielen Stellen nicht zielgruppen-gerecht aufgearbeitet war. Die Algorithmen konnten das nicht erkennen. Die Kundin war am Ende sehr zufrieden mit dem Ergebnis.

Ist Leichte Sprache modern?

Vor allem in der Redaktionsarbeit für die DIN SPEC 33429 Leichte Sprache brachten die Mitglieder viel Subjektives ein. Leichte Sprache ist ein verhältnismäßig altes Konstrukt. Aus meiner Sicht ist einiges nicht mehr zeitgemäß. So wird getan, als sei die Schulbildung von Menschen mit Lernschwierigkeiten die gleiche wie vor 30 Jahren. Wäre die Leichte Sprache parallel zur Zielgruppe weiter entwickelt worden, wäre sie nun ganz nah an der Einfachen Sprache. Vor allem im Redaktionskreis Leichte Sprache konnte ich gut beobachten, wie schwer es den Mitgliedern manchmal fiel, sich mit ihren Vorschlägen von der DIN Einfachen Sprache abzugrenzen. Menschen mit Lernschwierigkeiten im Redaktionskreis machten Vorschläge, die in den Bereich der Einfachen Sprache fielen.

Niemand hat mir meine immer wieder gestellte Frage bisher beantwortet: Wie kann eine lokal angesiedelte Prüfgruppe darüber entscheiden, welche Wörter ihr Personenkreis im DACH-Raum (Deutschland, Österreich und Schweiz)  versteht. Anstatt mir darauf eine Antwort zu geben, konfrontiert man mich mit dem Todschlag-Argument, der Text sei definitiv Leichte Sprache. Das habe eine Prüfgruppe bestätigt. Zweifel daran sind nicht erlaubt.

Bereits jetzt ist abzusehen, dass Textende/Übersetzende die DIN SPEC 33429 Leichte Sprache nur in Teilen anwenden werden. Die meisten Verstöße gegen die maximale Textlänge, das Verbot von Nebensätzen (mit wenigen Ausnahmen), das Gebot der Aktiv-Konstruktionen oder gegen die zulässige Wortwahl werden mit Einführung der DIN nicht verschwinden. Das Gegenteil wird der Fall sein. Den die Erwartungen an die Leistungsfähigkeit der Leichten Sprache sind zuletzt hochgeschraubt worden. Doch wegen ihres Minimalismus ist sie damit überfordert.

Varianten weichen Begriff Leichte Sprache auf

Um die reine (DIN-) Lehre der Leichten Sprache zu umgehen, kursieren bereits einige Abwandlungen: „Leichte Sprache plus“, „Einfache Sprache light“, „leicht verständliche Sprache“ oder auch nur „verständliche Sprache“. Es gibt Anbietende, die in Überschriften mit Leichter Sprache werben, um bei Google möglichst weit oben zu erscheinen. Im Angebot selbst taucht der Begriff Leichte Sprache nicht mehr auf. Dafür eine Variante, die signalisiert, dass man mit der DIN nichts anfangen kann. Alles nur ein Marketing-Trick.

Die reine Lehre der Leichten Sprache ist in der Krise. Inzwischen erwarten Auftraggebende Texte mit komplexen Inhalten. Das ist eine neue Dimension in der Verwendung der Leichten Sprache. In der Vergangenheit waren Leichte-Sprache-Texte inhaltlich leicht gestrickt. Nun erwarten sie zum Beispiel aktuelle politische Nachrichten leicht verständlich. Viele Textenden scheitern daran. Auch ich habe Aufträge abgelehnt, obwohl ich – nehme ich mal an – recht gut schreiben kann. In Leichter Sprache zu schreiben, ist herausfordernd, keine Übersetzungsarbeit. Texte in Leichter Sprache zu formulieren, verlangt viel Kreativität, journalistische Schreib-Erfahrung und persönliche Kenntnisse von der Zielgruppe. Ich habe gute Texte in Leichter Sprache gelesen. Die Autor*innen bewundere ich für ihr Talent.

Setzen KI-Programme Standards – und nicht die DIN?

Auftraggebende erwarten inzwischen, dass sich die Komplexität der Welt in Leichter Sprache veranschaulichen lässt. Nicht wenige Dienstleistende behaupten, dass das geht. Geht aber nicht – zumindest wenn man bei der reinen Lehre bleiben möchte. Außerdem sollten Text in Leichter Sprache nie länger an 1-2 DIN 4-Seiten lang sein. Schreibende denken selten an die eingeschränkte Fähigkeit zur Konzentration der Zielgruppe.

Mittlerweile fürchte ich, dass nicht die DINs die Standards setzen werden, sondern die Entwickler*innen der KI-Programme.


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Kommentare

2 Antworten zu „Leichte und Einfache Sprache: Wer will die DIN tatsächlich?“

  1. Avatar von Marco Geis

    Hallo Herr Roth,

    es gibt doch schon effiziente Programme wie Summ AI, die Texte vollautomatisch in Leichte Sprache übersetzen. Das mit der Textlänge von max. 2 Seiten finde ich nicht plausibel. In Leichter Sprache mit Bildchen und Text-Abstand wären das vielleicht 2500 Zeichen, darin kann man ja fast gar nichts an Info unterbringen. Freue mich auf ihre Antwort.

    1. Avatar von Uwe Roth, Journalist

      Hallo Herr Geis,

      ich kenne Summ AI. Ich hatte öfter Kontakt mit Ihrem Unternehmen und auch Ihre KI getestet. Ihr Hinweis auf die Illustrationen, die Platz brauchen, ist berechtigt. Das hatte ich beim Schreiben ausgeblendet. Ich ging vom reinen Text aus. Insofern gehe ich von bis zu vier DIN A4-Seiten aus, wenn man die besondere Optik berücksichtigt.
      Tatsächlich wollte ich darauf hinweisen, dass in den meisten Texten in Leichter Sprache zwar die Satzlänge eine Rolle spielt, nicht aber die Textlänge als solche. Oftmals müssen Menschen mit Lernschwierigkeiten bei ewig langen Internet-Texten scrollen und scrollen. Ich gehe davon aus, wer auf dem Lese-Niveau von Leichter Sprache ist, hält nicht lange durch. Das ist meine praktische Erfahrung. Meistens lässt schlicht die Motivation zum Weiterlesen nach.

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