In der Xing-Gruppe Einfache Sprache findet ein reger Austausch darüber statt, wie komplex ein Satz werden darf, um noch den Kriterien der Leichten/Einfachen Sprache zu erfüllen. Die Debatte wird um weitere Aspekte erweitert, seit die Zielgruppe für diese Sprachform heterogener wird. Bis vor wenigen Jahren waren es ausschließlich Menschen mit Lernschwierigkeiten/geistiger Behinderung, für die in Leichter Sprache geschrieben wurde. Inzwischen entdeckt man, dass Informationen in verständlicher Form für eine wachsende Bevölkerungsgruppe notwendig werden. Zu der gehören spätestens seit 2015 Migranten, die Deutsch als Fremdsprache lernen. Dabei stellt sich die Frage, wie viel Grammatik ist nötig, um „gutes“ Deutsch zu sprechen? Wie viel Grammatik verträgt die Einfache Sprache, um noch als einfache Sprachform zu gelten?
Spätestens mit den Flüchtlingen ist klar geworden, dass Leichte und Einfache Sprache in eine neue Ordnung gebracht werden müssen. Ich glaube, Niemandem ist wirklich klar, wo die Übergänge liegen. Bei Google dominiert in den Suchergebnissen eindeutig der Begriff Leichte Sprache – auch wenn man „Einfache Sprache“ ins Suchfeld eingegeben hat. Aber entspricht das noch der Realität? Leichte Sprache kommt schnell an ihre Grenzen. Flüchtlinge müssen die Leichte Sprache möglichst bald hinter sich lassen, um auf dem Arbeitsmarkt eine Chance zu haben.
Werden Leichte Sprache und Menschen mit Lernschwierigkeiten abgehängt?
Es besteht die Gefahr, dass die Leichte Sprache und damit die Menschen mit Lernschwierigkeiten von der Entwicklung abgehängt werden. Betrachtet man sich die stetig wachsende Gruppe der Menschen, die für die Leichte Sprache noch zu gut lesen und verstehen kann, die sich bei einfachen Zeitungstexte aber schon sehr quälen muss, sieht man das Potenzial für die Einfache Sprache. In Englisch sprachigen Ländern wächst in Behörden die Erkenntnis, dass Plain Language (Einfache Sprache) allen Bürgern nützt – auch zum Vorteil für die Verwaltung. In Deutschland sollte die Entwicklung ebenfalls in diese Richtung gehen.
Wie viel Grammatik man in die Leichte und Einfache Sprache packt, sollte nicht als dominierendes Qualitätskriterium gelten.
Ich habe mir 2016, kurz nach Erscheinen, den Duden-Ratgeber „Leichte Sprache“ gekauft. Diesen wollte ich im Unterricht und in meinen Workshops einsetzen. Schließlich kann diese Duden-Ausgabe als Beweis für die Wichtigkeit der Leichten Sprache betrachtet werden. Als Journalist bin ich es gewöhnt, schwere Sprache zu verstehen. Doch selbst ich verstehe diesen Ratgeber nicht.
Der Duden und der elaborierte Code
Der Duden ist ein Ratgeber über die Leichte Sprache, der in sehr schwerer Sprache geschrieben ist. Wem nützt das? Mir jedenfalls nicht. Ehrlich gesagt, ich war richtig empört über diesen Duden. Was nützt er, wenn er von denjenigen nicht genutzt werden kann, die Texte in Leichter Sprache verfassen wollen? Die meisten Übersetzerinnen und Übersetzer haben nicht Germanistik studiert. Ich bin überzeugt, diejenigen, die mit ihrem elaborierten Code solche Duden-Texte verstehen, werden niemals in ihrer Arbeit die Leichte Sprache anwenden.
Grammatik den Flüchtlingen anpassen – oder umgekehrt?
Auf meinen Blogbeitrag „Deutsch lernen mit Einfacher Sprache“ kam aus der Xing-Gruppe folgender Kommentar. Bettina Mikhail schrieb:
Leichte Sprache scheint mir besonders geeignet für neu in Deutschland angekommene Menschen wie Geflüchtete, die nur wenig Deutsch können. Man könnte dafür die Regeln vermehrt an die Zielgruppe anpassen, um den muttersprachenspezifischen Zugang mehr zu berücksichtigen, z.B. durch vermehrten, aber immer noch „korrekten“ Gebrauch von Konstruktionen mit Präpositionen statt der Kasus oder neue Wortmuster statt Segmentierung von Komposita mit Bindestrich bzw. Mediopunkt.
Dies müsste mit empirischen Studien untermauert werden. Ob Leichte Sprache neben ihrem eigentlichen Zweck, schriftliche Informationen verständlich zu machen, auch die Sprachkenntnisse von schon länger in Deutschland lebenden Migranten verbessern kann, erscheint mir fraglich.
Viele grammatische Strukturen, wie z.B. Pronomen, Nebensätze, Genitiv, die Migranten Probleme bereiten, werden bei Leichter Sprache umgangen und durch reduzierte Formen ersetzt, so dass sie auch nicht durch Lesen eingeübt werden können. Einfache Sprache scheint mir eher dazu geeignet.
Meine Reaktion: wenig Grammatik – die aber korrekt
Wenn man für Migranten schreibt, muss man vor allem intuitiv und kreativ sein. Ich schreibe zum Beispiel nicht „Zeugnis“, sondern „Zertifikat“, obwohl das bei der Leichten Sprache nicht zulässig ist. Aber aus dem Englischen übertragen, ist nun mal Zertifikat besser bekannt. Das gilt ebenso für zahlreiche andere Begriffe wie „Pass“ und nicht „Ausweis“.
Ich bin seit 35 Jahren Journalist und wende die Grammatik sicherlich korrekt an. Doch ich denke, der größte Feind des Fremdsprachenlernens sind nach meiner Beobachtung intensive Grammatikübungen. So wenig Grammatik wie möglich, aber die korrekt. Das ist dagegen meine Devise. In meinem Unterricht sage ich zum Beispiel, dass Texte in der Gegenwartsform (Präsens) am Besten verstanden werden. Das gilt für Protokolle, die nicht in der Vergangenheitsform (Imperfekt) geschrieben werden müssen, auch wenn die Besprechung in der Vergangenheit liegt.
Man kann auf manche Zeitform gut und gerne verzichten
Zeitungsberichte über Veranstaltungen schreibe ich nach Möglichkeit in der Gegenwartsform. Das hat den Vorteil: Schreibt man in der Gegenwartsform, reicht das Imperfekt, falls man doch an einer Stelle in die Vergangenheit zurückgreifen muss. Schriebe man von Beginn an in der Vergangenheit, müsste man in solchen Fällen in die Vorvergangenheit gehen. Das ist für die Zielgruppe schon schwerer zu verstehen.
Aber so richtig verstehe ich die Debatte um die Konkurrenz zwischen Leichter und Einfacher Sprache nicht: Beginnen sollen die Migranten mit Leichter Sprache und ab einem bestimmten Textverständnis in die Einfache Sprache wechseln? Das ist doch mehr als verwirrend. Ich erinnere an meine 15 Pros für die Einfache Sprache.
Wortschatz ist von größerer Bedeutung als die vollumfängliche Grammatik
Ich lerne gerade in Babbel eine Fremdsprache. Ziel ist es doch, möglichst schnell das Niveau B1 zu erreichen. Und das ist nach meinem Verständnis bereits Einfache Sprache. Um was es mir am Ende geht, ist doch, mit einer Basis von Grammatikkenntnissen meinen Wortschatz möglichst rasch zu erweitern und alles Gelernte im Kopf zu behalten.
Ich bleibe dabei: So lange sich Leichte Sprache über ein Regelwerk definiert, kann ich damit nicht umgehen. Leichte und Einfache Sprache… wir müssen doch die Kräfte bündeln und nicht Unterschiede definieren und pflegen.
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