Bildsprache im Wettbewerb mit Einfacher Sprache – das ist ein spannendes und hoch aktuelles Thema. In Fachschulen für soziale Berufe unterrichte ich junge Menschen. Ein Grundverständnis von der barrierefreien Kommunikation gehört zum Berufsbild beispielsweise der Heilerziehungspflege. Der Unterrichtsstoff wird selten mit Begeisterung aufgenommen. Schließlich spreche ich über Grammatik und Rechtschreibung, die bei der Einfachen Sprache ohne Kompromisse zu beachten sind.
Aber genau damit stehen viele wohl auf Kriegsfuß, wie ich in den Gruppenarbeiten lesen kann. Wenn die Schülerinnen und Schüler in den Pausen ihr Smartphone in die Hand nehmen, fühlen sie sich genau davon befreit. In der Nachricht werden Buchstaben und Symbole wild gemischt. Auch Wörter haben mehr einen Symbolcharakter als eine „eigenständige Bedeutung“ (Wikipedia). Irgendwann ist mir klargeworden: Bildsprache und Einfache Sprache stehen im Wettbewerb.
Eigentlich ist es nicht verwunderlich, dass Menschen gerne mit Bildern kommunizieren. Während der längsten Zeit konnte nur eine privilegierte Minderheit Lesen und Schreiben. Zu der gehörte nicht zwingend Könige. Das Sprechen begann und beginnt mit der Lautmalerei. Die ersten Funde menschlicher Kommunikation vor Tausenden von Jahren sind Malereien und keine Schrift. Lange bevor sich Menschen das Lesen und Schreiben aneigneten bzw. ihnen angeeignet wurde, lernten und beherrschten sie die Sprache der Bilder und Symbole. Lesen und Schreiben kamen im Wesentlichen erst im 19. Jahrhundert hinzu.
Bildsprache der Kathedralen ist großes Kino
In einer Kathedrale staune ich über die Farbenpracht der Kirchenfenster, über die Üppigkeit der Malereien und die Vielzahl der Skulpturen, die von den Künstlern mit einer scheinbar endlosen Akribie gefertigt wurden. Es ist ein pauschales und laienhaftes Staunen. Eine touristische Blickweise.
Da ich kein Theologe bin, erkenne ich lediglich die Hauptfiguren aus der Bibel: allen voran Jesus und Maria, dann noch ein paar Jünger, wenn sie im richtigen Kontext abgebildet sind. Die Bildmotive kommen mir alle gleich vor. Ich erkenne die Details nicht. Ich sehe die Schönheit. Aber ich verstehe sie nicht. Mir fehlt das Verständnis für die Bildsprache.
Doch was haben Kirchengänger in früheren Zeiten in Kirchen alles gesehen und verstanden?
- Jede Farbe,
- jedes Kleidungsstück,
- jede Person,
- deren Blicke und Gesten,
- die Platzierung einer Person und
- Zusammenstellung einer Gruppe von Personen
haben eine Geschichten getragen.
Kathedralen, so denke ich mir, waren für Menschen im Mittelalter großes Kino.
Die Gläubigen haben in unzähligen Kirchengängen und Gottesdienstbesuche die Bildsprache gelernt. Im Alltag hat sich das fortgesetzt: Vorschriften zur Kleiderordnung, Verwendung von Speisen und fürs Heiraten hatten ebenso symbolische Komponenten. Bildersprachen waren universell und überall gegenwärtig
Wir dagegen haben die Bildersprachen verlernt. Wie kam’s? Um 1700 begannen die Aufklärer ihr Werk. Sie wollten über die Beliebigkeit von Bildern aufklären. Bilder sind beliebig interpretierbar. Wort und Schrift kommen hingegen aus dem Verstand. Vernunft kann in Sprache ausgedrückt werden, aber nicht in Bildern. Tatsächlich ist es so, zum Malen benötigt man Talent und viel Zeit, sich dies anzueignen. Lesen und Schreiben ist dagegen in wenigen Jahren (oder noch kürzer) gelernt. Aber wie schwer ist eine Bibel zu lesen, anstatt einem Prediger zuzuhören? Doch wer garantiert, dass der Prediger die Wahrheit sagt?
Lesen und Schreiben ist anstrengend – Bilder schauen dagegen nicht
Die Aufklärer haben eines unterschätzt: Lesen und Schreiben lernen, das ist harte Arbeit. Wer es gelernt hat, der muss in ständiger Übung bleiben. Es ist nicht wie Radfahren. Wer es einmal gelernt hat, der kann es auf immer. Lesen und Schreiben benötigen ständiges Training. Dicke Bücher sind wie ein Marathon: Wer untrainiert ist, der kommt nicht ans Ziel. Menschen, die nicht regelmäßig Zeitung lesen, sagen mir, für eine solche Lektüre hätten sie keine Zeit. Das ist wohl wahr. Ohne Routine benötigen Wenigleser für eine Ausgabe drei Stunden, schätze ich mal. Ich dagegen kommen mit 20 Minuten am Morgen aus. Darin habe ich eine Menge Routine.
Da verwundert es nicht, dass die Menschen weiter daran gearbeitet haben, Bilder in Umlauf zu bringen. Ein Meilenstein dazu war die Erfindung des Fotoapparates Mitte des 19. Jahrhunderts. Seither erobern sich Bilder ihre einstige Vormachtstellung zurück. Brauchte man früher ein Talent zum Malen, reicht heute Geld aus, um sich die Technik leisten zu können und eigene Bilder zu schaffen. Fotoapparate machen inzwischen perfekte Bilder. Dafür muss man nicht viel können. Inzwischen reicht ein Smartphone, um Fotos in halbwegs Profiqualität herzustellen.
Buchstaben werden zu grafischen Zeichen
Bilder ersetzen zunehmend das Schreiben von Botschaften. Statt seine Gefühle zu beschreiben, verwendet man Emojis
(japanisch für Bilderbuchstaben). Diese werden von Jahr zu Jahr zahlreicher. Im Jahr 2019 kommen 230 hinzu. 2018 waren es knapp 160 neue Symbole. Bald gibt es für jedes Wort im Duden ein Bildsymbol.
Erstmals sind Männer und Frauen im Rollstuhl sowie mit Blindenstöcken dabei. Auch ein Ohr mit Hörgerät, eine Arm- und eine Beinprothese gibt es bald als Emojis.
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Spracherkennung verdrängt Lesen und Schreiben
Statt eine Postkarte aus dem Urlaub zu schreiben, werden Selfies nach Hause geschickt. Auch Worte, wie sie in Facebook oder WhatsApp verschickt werden, sind mehr Symbole. Buchstaben werden zu grafischen Zeichen. Oftmals verlieren sie dabei ihren eigentlichen Sinn. Wörter werden zu Bildern. So betrachtet, rutschen wir in die Zeiten vor der Aufklärung zurück. Es ist mir klar, dass diese Behauptung nicht unwidersprochen bleibt. Emojis sind zweifelsohne in ihrer Bedeutung zwiespältig. In den USA stellt man sich bereits die Frage, ob verwendete Emojis als Beweismittel tauglich sind.
Es gibt auch positive Betrachtungsweisen. Das soll nicht verschwiegen werden:
Emojis werden gern unterschätzt, dabei sind sie ein Segen für die Menschheit. Dank ihnen sprechen wir mehr über Gefühle.
Sascha Lobo, Spiegel online, 27.12.2017
Aber bleiben wir realistisch: Nicht nur die überall verwendeten Symbole ersetzen das Lesen und Schreiben. Die Spracherkennungsprogramme (OK. Google, Alexa etc.) erfüllen den Zweck als Alternative zum Lesen und Schreiben noch besser. Und die Technologie ist noch ganz am Anfang.
Wer nur noch Symbole interpretieren muss und Botschaften mündlich verbreiten kann, wer achtet da noch auf Rechtschreibung und Grammatik? Wer mit Google schriftlich über die Tastatur kommuniziert, stößt bezüglich Rechtschreibung und Grammatik auf viel Toleranz bei der Suchmaschine. Auch falsch geschriebene Wörter werden erkannt und im freundlichen Ton korrigiert: „Meinten Sie…“
Komplexe Sprache kann den Trend nicht aufhalten
Retten Schüler ein wenig Lese- und Schreibkompetenz aus der Schulzeit in ihr späteres Leben, wird die Ausdauer zumindest für lange und komplexe Texte nach und nach schwinden. Lange Mails und Protokolle waren gestern. Bachelor- und Masterarbeiten haben längst nicht mehr den Umfang wie früher die Magister-Arbeiten. Schon im Februar 2012 stellte Dr. Andreas Belwe in einem Fachartikel in der Zeitschrift „Psychologie Heute“ eine „Verschlechterung der Schreib- und Lesekompetenz bei Jugendlichen und Studenten“ fest. Vier Jahre später berichtete der Deutschlandfunkt über die „Generation Halbwissen“: „Das Niveau der Schulabgänger ist nicht besser geworden“.
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Was hat das mit der Einfachen Sprache zu tun? Ich denke mit komplexer Sprache wird sich niemand diesem Trend zurück zur Bildsprache in den Weg stellen können. Mit Alexa und Google sprechen die Nutzer tatsächlich in Einfacher Sprache. Ihre Sätze sind kurz, der Wortschatz eingeschränkt. Und die Antworten aus der Cloud kommen nicht in Romanlänge. Informationen in Einfacher Sprache sind eine Möglichkeit der Kommunikation, der es gelingt, dass Geschriebenes auch künftig zur Kenntnis genommen wird. Der Trend geht zur Einfachen Sprache für alle (Plain Language). Schreiben Sie mir, wenn Sie davon Gebrauch machen möchten.
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