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Zeitungen dürfen sich der Einfachen Sprache nicht sperren

Lesedauer 4 Minuten

Uwe Roth, 30.01.2020

Zeitungssprache ist kompliziert. Ich schließe meine eigenen Texte für Lokalzeitungen von dieser Erkenntnis nicht generell aus. Dabei bemühe ich mich, verständlich zu schreiben. Ich bin Texter und Trainer für die Einfache Sprache. Daher fühle ich mich dieser Sprachform für meine Zeitungssprache verpflichtet. Hier eine Auswahl der Kriterien:

  • klarer Satzbau,
  • kurze Sätze,
  • höchstens ein Nebensatz,
  • keine Füllwörter und
  • nur allgemein verständliche Begriffe.

Zur Einfachen Sprache bin ich gekommen, weil ich als freier Journalist von Jahr zu Jahr vom Zeitungsmarkt schlechter lebe. Aber das ist ein anderes Thema.

Prägnantes Schreiben ist eine Frage des guten Willens

In der Regel gelingt es mir recht gut, meinen Ansprüchen gerecht zu werden. Die Redaktionen verändern meine Texte nicht. Von Lesern erhalte ich die Rückmeldung, meine Texte seien verständlich und informativ. Was will ich mehr. Ich werde meinen Ansprüchen oftmals dann nicht gerecht, wenn mir beim Schreiben Zeit fehlt. Das passiert oft genug. Goethe soll festgestellt haben: „Ich schreibe dir einen langen Brief, weil ich für einen kurzen keine Zeit hatte“. Prägnant zu schreiben, das ist eine Frage der Zeit. Aber es ist auch eine des guten Willens.

Ich arbeite mit dem Analyseprogramm TextLab. Es wurde an der Universität Hohenheim als Maßstab für die Verständlichkeit eines Textes entwickelt. Der Hohenheimer Index reicht von 0 (völlig unverständlich) bis zu 20 (sehr leicht verständlich). Die Wissenschaftler legten Benchmarks fest: Demnach sollte ein Fachtext mindestens 12, Briefe 14 und Internettexte 16 Indexpunkte erreichen. Einfache Sprache beginnt jenseits von 18 Indexpunkten. Für Zeitungssprache gibt es keinen Benchmark. Ich verwende stattdessen den Benchmark für Internettexte.

Zeitungssprache muss verständlicher werden

Für meine Workshops analysiere ich Texte aus Lokalzeitungen. In der Regel erreichen sie den Indexwert 16 nicht. Auch Artikel von mir bleiben darunter. Sie pendeln zwischen den Indexwerten 10 und 15. Das Programm gibt Punktabzüge insbesondere für zu lange Sätze und Wörter mit zu vielen Buchstaben, Passivkonstruktionen und Nominalsätze. Schon die Einstiegssätze sind oftmals viel zu lang.

Zeitungssprache muss verständlicher werden. Die Lesekompetenz in der Bevölkerung sinkt. Unter den Abonnenten sind kaum Leser mit Migrationshintergrund. Das haben sich die Lokalzeitungen selbst zuzuschreiben. Ich habe Anfang der 1980er Jahre mein Volontariat gemacht. Ich erinnere mich genau. Die journalistischen Vorbilder saßen in der Redaktion der Frankfurter Allgemeinen oder dem Spiegel. Alles schwere Lektüre. In den Lokalredaktionen hat man auf die damals so bezeichneten Gastarbeiter und deren geringen Deutschkenntnisse keine Rücksicht genommen.

Flüchtlinge sollten Nahrichten verstehen

Verlage haben die Neubürger als potenzielle Abonnenten nicht ernst genommen. Die Redaktionen hätten im Lokalteil zumindest in bestimmten Rubriken sprachlich auf sie zugehen müssen. Das aber ist nicht passiert. Auch in der dritten Generation sind Menschen mit Migration in der Leserschaft unter dem Durchschnitt vertreten.

Jahrzehnte später scheinen die Verlage mit den Flüchtlingen den Fehler zu wiederholen. Die Redaktionen schreiben viel über die Neuankömmlinge, aber nicht für sie. Die Einfache Sprache hat mit den Flüchtlingen an Gewicht gewonnen. Sie sollen möglichst schnell Deutsch lernen. Da sollte man ihnen sprachlich entgegenkommen. In der öffentlichen Verwaltung werden für sie Informationen in Einfacher Sprache geschrieben – wenn auch nicht konsequent. Ich kenne keine Lokalzeitung, deren Redaktion es sich zur Aufgabe gemacht hat, mit verständlicher Zeitungssprache diesen Personenkreis einzubinden.

Medien fallen als Nachrichten-Vermittler immer mehr aus

Flüchtlinge sollen sich integrieren. Das wird von ihnen erwartet. Aber wenn sich an ihrem Wohnort etwas verändert, bekommen sie es nicht mit. Beispielsweise Verbot von Plastik. Änderung bei der Müllabfuhr. Kita-Plätze und –Gebühren. Neue Mensa für die Schule. Das gilt ebenso für alle anderen, die keine lokalen Nachrichten mehr wahrnehmen. Klassische Medien fallen für die Vermittlung von Informationen nach und nach aus. Die Gefahr für eine Gesellschaft wird immer noch unterschätzt.

Der Schaden an der Gesellschaft ist jetzt schon beängstigend. Ich bin bei (rechten) Veranstaltungen als Lügenpresse beschimpft worden. Bei Nachfrage stelle ich fest, dass diese Person gar keine Zeitung liest. Nicht einmal die BILD. Das müssen keine AfD-Anhänger sein. Das Schimpfwort höre ich ebenso bei Demonstrationen gegen Dieselfahrverbote. Das macht mir mehr Angst als bei AfD-Versammlungen.

Einfach mal ausprobieren: Artikel in Einfacher Sprache

Redaktionen gehen davon aus, dass ihre Texte verständlich sind. Sie überprüfen es aber nicht. Eine Redaktion könnte sich bei einigen Probetexten an den Regeln der Einfachen Sprache orientieren. Das Ergebnis gibt ihr einen Hinweis darauf, ob sie mit ihrer Selbsteinschätzung richtig liegt. Leser hält man sich nur mit guten Themen in Kombination mit verständlicher Sprache. Eine Kolumne eines Kulturredakteurs in der Stuttgarter Zeitung gibt Aufschluss, dass die Redaktio nicht vorhat, am Elitären loszulassen. Dabei sinkt deren Auflage rasant.

Jörg Schöller behauptet, „Einfache Sprache führt in der Konsequenz zu einfachem Denken – das oft im Widerspruch zur komplexen Realität steht“. Komplexe Realität dem Leser komplex erklärt, wem bringt denn so was? Weiter schreibt er: Komplizierte Sprache sei nicht nur eine Barriere. Sie sei ebenso „Sparringspartnerin für mentales Training“. Unkomplizierte Sprache sei praktisch und komfortabel, „aber man wächst nicht an ihr“.

Schwere Sprache ist „mentales Training“?

Der Kollege hat sich nie an der Einfachen Sprache versucht. Sie ist anstrengender als Normalsprache. Er sollte es mal ausprobieren. TextLab hat seinen Text mit 14 bewertet. Nach der Hohenheimer Bewertung dürfte dieser nicht im Internet für die Allgemeinheit erscheinen. Den Wert von 16 Indexpunkten zu erreichen, das ist verdammt schwer. Warum das mühsame Auseinanderdröseln von Schachtelsätzen „mentales Training“ sein soll, erschließt sich mir nicht.

Gute Schreiber sind diejenigen, die kluge Gedanken verständlich und am besten mit Einfacher Sprache erklären können. Das ist die hohe Kunst des Journalismus.

Dieser Text hat 17,2 Indexpunkte erreicht. Das ist nicht Einfache Sprache. Das Schreiben war mentales Training.


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