„Leichte Sprache braucht Mut“

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Interview der Agentur pr+co Stuttgart, veröffentlicht am 26.06.2016

Uwe Roth macht Texte für alle verständlich. Im Interview erklärt der Journalist, warum sich Leichte Sprache in der internen Unternehmenskommunikation lohnt und welche Vorbehalte es gibt.

Herr Roth, was ist Leichte Sprache?
Leichte Sprache ist ein Werkzeug der Verständigung. Es gibt verschiedene Regelansätze zur Vereinfachung von Satzbau, Wortwahl, Grammatik und auch Rechtschreibung. Ziel ist es, Texte so zu gestalten, dass so viele Menschen wie möglich sie verstehen. In der Behindertenhilfe gibt es sehr strikte und genaue Regeln für die Verwendung von Leichter Sprache. Hier werden auch meist erklärende Illustrationen im Text verwendet. Um sich davon abzugrenzen, entwickelt sich gerade der Begriff „Einfache Sprache“. Diese orientiert sich viel näher an der alltäglich gebrauchten Textsprache, hat aber noch keine etablierten Regeln. Es gibt da noch weitere Unterscheidungen in reine „Leichte Sprache“ oder „Einfache Sprache“. Ich selbst spreche gerne von „Verständlicher Sprache“. Wie auch immer: Gemeinsam ist allen, dass sich das Textverständnis an den Anforderungen der Grundschule orientiert.

Wollen Sie wirklich mit Erwachsenen auf Grundschulniveau kommunizieren?
Ja. Bitte verwechseln Sie nicht Sprachniveau mit dem Inhalt der Kommunikation! Wenn Ihr nächster Steuerbescheid in Grundschulsprache geschrieben wäre, würden Sie sich wahrscheinlich freuen. Man kann und sollte auch über komplexe Dinge verständlich schreiben. In den Köpfen der Gebildeten steckt drin: Wenn die Leute schlecht lesen oder nicht gut Deutsch sprechen können, dann sollen sie doch zur Volkshochschule gehen. Also: Die müssen sich anstrengen, um uns zu verstehen. Ich glaube hingegen, dass es wichtig ist, auf Leseschwache zuzugehen.

Außerdem nimmt eine solche Denkweise die Realität nicht wahr: Je nach Berechnung gibt es in Deutschland rund 7,5 Millionen funktionale Analphabeten, also Erwachsene, die geschriebene, deutsche Texte kaum oder nur schwer verstehen. Das ist fast jeder Zehnte! Dazu zählen alte Menschen, Menschen mit geistiger Behinderung, Hirnschäden oder Demenz. Dazu zählen aber auch Einwanderer, Geflüchtete oder ganz einfach Leute, die sich schon immer mit geschriebenen Informationen schwer taten und trotzdem einen Schulabschluss und eine Ausbildung schafften: 15 Prozent aller Erwerbsfähigen können nicht gut lesen. Funktionale Analphabeten sind eine große und äußerst heterogene Gruppe. Und diese Menschen sind eben nur über eine leichtere, verständliche Sprache zugänglich.

Was ist besser: eine Botschaft, die viele verstehen, oder eine Botschaft, die alle verstehen?

Was hat ein Unternehmen davon, wenn es etwa intern auch einmal in Leichter Sprache kommuniziert?
Die Sicherheit, dass es von allen verstanden wird. Was ist besser: eine Botschaft, die viele Mitarbeiter verstehen, oder eine Botschaft, die alle Mitarbeiter verstehen?

Sollten dann Unternehmen zum Beispiel in ihrem Mitarbeitermagazin die Texte immer in zwei Versionen anbieten: schwer und leicht?
Manchmal kann das eine gute Lösung sein, etwa bei besonders wichtigen Informationen, zum Beispiel zur Arbeitssicherheit oder zu einer Krise im Unternehmen. Grundsätzlich glaube ich aber, dass eine Mischform das Beste und Praktikabelste ist. Das kann auch ein Extra-Kasten sein, der die zentralen Botschaften noch einmal ganz leicht zusammenfasst, oder eine erklärende Illustration.

Ist Leichte Sprache nicht manchmal zu simpel? Kann man wirklich alle Informationen damit transportieren?
Vielleicht nicht restlos alle, aber mit Sicherheit die meisten und die wichtigsten. Eine verständliche Sprache ist eine ehrliche Sprache, weil sie allen Füllwörterballast und allen Schmuck abwirft. Die Information ist viel besser zu erkennen. Tatsächlich kann das in manchen Fällen sogar ein Problem sein, wenn der Autor gar nicht will, dass der Text leicht zu verstehen ist. Das Paradebeispiel sind Juristen. Wenn ich für Ministerien oder Behörden als Sprachvereinfacher arbeite, habe ich viel mit Juristen zu tun, die auf bestimmte Formulierungen und Begrifflichkeiten bestehen, damit Texte rechtsverbindlich sind. Das kann ich schon nachvollziehen. Auf der anderen Seite heißt das ganz deutlich: Aus Juristensicht ist es völlig egal, ob irgendjemand ihre Texte versteht. Ich finde, das ist ein Problem.

Viele Unternehmen denken: Diese Blöße dürfen wir uns nicht geben!

Gibt es Vorbehalte gegen Leichte Sprache?

Sie wird oft – ich sag’s mal brutal – als Deppensprache betrachtet. Man stößt sich zum Beispiel daran, dass zusammengesetzte Wörter mit Bindestrich getrennt werden, also etwa „Werks-Halle“. Das ist für einen Menschen, der nicht gut lesen kann, eine echte Erleichterung. Andererseits wirkt so ein ungewohntes Schriftbild auf viele wie ein Warnsignal: Achtung – das hier ist was Kurioses für Bildungsferne! Viele meiner potenziellen Aufträge scheiterten daran, dass im Gesprächskreis irgendjemand – es ist immer ein Akademiker! – auf einmal sagt: Diese Blöße dürfen wir uns doch nicht geben.

Woran liegt das?
Das mit der „Blöße geben“ höre ich ganz oft. Aber ehrlich gesagt habe ich es immer noch nicht so recht verstanden. Ich vermute, es ist eine gewisse Angst, als Unternehmen unprofessionell zu wirken, wenn man Leichte Sprache benützt. Dazu braucht es Mut. Hinzu kommt: Es entscheiden immer gebildete Führungskräfte darüber, ob Leichte Sprache im Unternehmen eingesetzt wird. Sie gehen stark von sich selbst als Adressat aus, habe ich den Eindruck. Sie denken: Was ich verstehe, verstehen andere auch. Das ist aber nicht so.

Begriffswirrwarr

Wenn von Leichter Sprache die Rede ist, ist nicht immer klar, was damit gemeint ist. Meistens – so auch hier – ist damit eine Sprach­ver­einfachung gemeint, die sich an Leitfäden orientieren wie etwa diesem hier vom Bundes­ministerium für Arbeit und Soziales. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Nachrichten des Deutschlandfunks in Leichter Sprache oder dieser amüsante Beitrag von brand eins über die Krisenkommunikation von Volkswagen.

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