Passt Leichte Sprache in eine deutsche Norm? Ein Versuch läuft

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Eine Deutsche Industrienorm (DIN) lässt Kreativität keinen Platz. Das gehört zum Fundament einer Norm. Jede (kreative) Abweichung ist zwangsläufig ein Verstoß gegen Standards. Kommt eine Norm in die Jahre, stolpert sie neuen Möglichkeiten eines Produkts hinterher. Ich hatte Vorbehalte, als ich las, dass die Leichte Sprache in eine Norm gepackt wird. Am 3. März 2020 war im Gebäude des DIN-Vereins in Berlin die Kick-off-Veranstaltung für eine DIN SPEC 33429.

Als Journalist akzeptiere ich schweren Herzens, dass meine Sätze einer Norm entsprechen müssen, damit ich sie als „Leichte Sprache“ verkaufen kann. Für mich steht ein guter Inhalt im Vordergrund. Kreativität besteht darin, gute Inhalte mit der Leichten bzw. Einfachen Sprache unter einen Hut zu bringen. Eine DIN verlangt das nicht.

DIN-genormte Ausschreibungen – DIN-genormte Leichte Sprache?

Es ist abzusehen, dass DIN SPEC 33429 vor allem bei Ausschreibungen zum Einsatz kommt. Öffentliche Auftraggeber sind immer häufiger verpflichtet, Informationen in Leichter Sprache zur Verfügung zu stellen. Auftraggeber, die selbst keine Qualifikation für die Leichte Sprache haben, bewerten nach meiner Erfahrung oftmals nicht die inhaltliche Qualität ihres in Auftrag gegebenen Textes. Stattdessen beschränken sie sich darauf zu achten, dass formale Kriterien eingehalten worden sind.

Eine DIN kommt da wie gerufen. Dann können Urheber einer Information mit gutem Gewissen ein zertifiziertes Leicht-Lesen-Logo an das Textprodukt stellen. Es ist bereits heute so: Auftraggeber erwarten vom Texter in erster Linie, dass er beim Schreiben eines der Regelwerke für die Leichte Sprache beachtet. Ob der Text inhaltlich etwas hergibt, bleibt zweitrangig. Das Internet bewahrt eine Menge Negativbeispiele auf. Die DIN wird die Gewichtung Quantität vor Qualität nahezu in Stein meißeln. Welche Auswirkung das jetzt schon hat, beschreibe ich in meinem Blog über den barrierefreien Zugang zu Internetseiten öffentlicher Stellen.

Eine DIN Leichte Sprache muss man sich leisten können

Obwohl es als freiberuflich arbeitender Mensch wegen der Reise- und eventueller Übernachtungskosten finanziell für mich schwierig ist, möchte ich im Konsortium DIN SPEC 33429 aktiv mitarbeiten. Inzwischen habe ich gelernt, dass es von Vorteil ist, Geld zu haben, wenn man an der Gestaltung einer deutschen oder europäischen Norm mitwirken möchte. Denn sämtliche Kosten haben diejenigen zu tragen, die am Zustandekommen einer Norm Interesse haben. Braucht das Konsortium zusätzliche Gutachten, müssen auch die von den Teilnehmern bezahlt werden. Da tun sich Unternehmen und Organisationen/Verbände einfacher, die Kosten zu tragen. Sie schicken Angestellte ins Konsortium. Freiberufler müssen erstmal ihr Erspartes investieren. Kommt eine DIN heraus, die ihnen keinen Vorteil bringt, ist das Geld weg.

Mein Interesse an der Mitarbeit an der DIN SPEC 33429 ist, dass eine zeitgemäße Norm/Empfehlung zustande kommt. Sie darf zu keiner Nischen-Norm werden – an der in den kommenden Jahren Einfache Sprache/Plain Language vorbeiziehen. Ich habe zwar vor der Kick-off-Veranstaltung in Berlin mit knapp 100 Teilnehmern geahnt, dass die Einigung auf eine DIN schwierig werden wird. Aber mir war nicht das Ausmaß der unterschiedlichen Interessen an diesem Thema klar. Und zwischendrin stand das Projekt am Nachmittag kurz auf der Kippe.

Veraltete Regelwerke zur Leichten Sprache werden verteidigt

Aus den vielen Diskussionsbeiträgen hörte ich Ansichten heraus, die ich als nicht mehr zeitgemäß bezeichne. Es wurden Pfründe verteidigt und (unzeitgemäße) Geschäftsmodelle.

  • Eine Abgrenzung der Leichten Sprache zur Einfachen Sprache wurde nicht im Ansatz diskutiert. Einfache Sprache läuft in der Praxis der Leichten Sprache längst den Rang ab.
  • Von Teilnehmern wurde ein Protokoll in Leichter Sprache erwartet. Doch wie soll das mit Acht-Wort-Sätzen und ohne Nebensätze bei dieser komplexen Materie überhaupt funktionieren?
  • Plain Language (Einfache Sprache) wurde von vornherein zu einer völlig anderen Baustelle erklärt. Das aber ist falsch.
  • Auf eine Einordnung der Leichten Sprache in den Gemeinsamen Europäischen Kompetenzrahmen für den Sprachenerwerb wurde verzichtet. Das geht an der Realität vorbei.
  • Warum Fremdsprachen-Übersetzer glauben, dass es keinen Unterschied macht, ob sie Englisch ins Deutsche übersetzen oder schwere in Leichte Sprache, kann ich nicht nachvollziehen. Ich habe viele schwer verständliche Texte in Einfache Sprache gebracht. Diese sind nie Zeile für Zeile übersetzte Sätze.

Leichte Sprache hat ihre Ursprünge in den 1980er Jahren – wie bekommt man sie zeitgemäß?

Auch wenn es die Gesetzeslage so sieht, die Konzentration der Leichten Sprache auf Menschen mit Lernschwierigkeiten ist längst überholt. Im Übrigen weiß ich, dass der Gesetzgeber den Begriff Leichte Sprache in das Behindertengleichstellungsgesetz (das lediglich auf Bundesebene gilt!) aufgenommen hat, ohne sich darüber große Gedanken zu machen. Die UN-BRK kennt den Begriff gar nicht.

Im Bundesteilhabegesetz (mit den Umsetzungen auf Länderebene) taucht Leichte Sprache genau einmal auf: So hat der Werkstattrat ein Recht auf einen Geschäftsbericht in Leichter Sprache. Ansonsten wird im Gesetz immer von einem barrierefreien Zugang zu Informationen gesprochen. Von daher bezweifle ich, dass Leichte Sprache der korrekte Begriff für die Norm ist.

Sätze dürfen komplexer als die Leichte Sprache sein

Seit über fünf Jahren schreibe ich Texte in Leichter/Einfacher Sprache, gebe Unterricht und Workshops. In dieser Zeit hat sich viel getan. Ganz wichtig: Als die Leichte Sprache vor 30 bis 40 Jahren entstanden ist, war die Schulbildung für Menschen mit einer geistigen Behinderung in der Regel miserabel. Im Zuge der Inklusion wird sie immer besser. Schon jetzt kommen viele Behinderte nach meiner Erfahrung mit der Einfachen Sprache gut zurecht. In der Zukunft werden es garantiert immer mehr, die (einigermaßen) lesen können.

Ich habe die Kick-off-Veranstaltung übers Internet verfolgt. Leider sind wir virtuellen Konferenzteilnehmer ziemlich schnell untergegangen. Ich hätte mich gerne mehr eingebracht. Aber ich hatte keinen Blick in den Konferenzraum und wusste deswegen nicht, wann und wie ich mich zu Wort melden kann. Auch bei den Abstimmungen wurden wir nicht gefragt, wie unsere Meinung ist. Gerne hätte ich zum Beispiel kurz das Thema Leichte Sprache und Gem. Europäischer Referenzrahmen für Sprachen angesprochen. Dieser spielte in der Diskussion überhaupt keine Rolle, was für mich unverständlich ist.

Für die Zukunft bleibt noch viel zu tun. Sofern ich die Gelegenheit dazu bekomme.

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