Einfache Sprache im Lokaljournalismus – Schreib es einfach

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Interview im Magazin Drehscheibe mit Uwe Roth, Journalist und Texter für die Einfache Sprache. Die Drehscheibe, deren Redaktion in Berlin ist, ist ein Fachmagazin für Lokalzeitungen. Sie wird von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert. Einfache Sprache im Zeitungsjournalismus zu fordern, wird sicherlich als Provokation empfunden. Die Veröffentlichung als PDF.

Herr Roth, Sie sind Journalist und befassen sich mit dem Thema „Einfache Sprache“. Was kennzeichnet Einfache Sprache?

Die Einfache Sprache kennt Grundregeln: Sätze haben nicht mehr als 20 Wörter. Es gibt höchstens einen Nebensatz. Der Satzbau hat eine klare Linie. Ich beginne bevorzugt mit dem Subjekt, wie man es in der Schule gelernt hat. Lange Wörter werden aufgebrochen. Aus Haushaltsplanverfahren wird ein Verfahren für den nächsten Haushalt. Schwierige Begriffe werden weggelassen oder verständlich erläutert. Sätze im Passiv werden vermieden. Verben mit einem „ung“ am Ende zum Hauptwort und zur Bürokratensprache zu machen, ist verpönt. Es gilt: ein Gedanke – ein Satz.

Das alles klingt banal. Jeder dürfte die Regeln im Volontariat oder bei einer Fortbildung mal gehört haben. Aber wenn ich mir Lokalzeitungen anschaue, entdecke ich zu oft Kraut-und-Rüben-Sätze. Gerade Lokalredaktionen sollten erkennen, dass sie ihre Texte nach den genannten Regeln verständlicher machen müssen. Lesekompetenz und Konzentration aufs Lesen sinken allgemein. Zeitungstexte müssen mühelos zu lesen sein, wollen sie die Leser bis zum Ende bei Laune halten. Ansonsten heißt es, in Schönheit sterben.

Einfache Sprache gilt als Sprache für Menschen mit Einschränkungen oder Behinderungen. Ist das so?

Das stimmt so nicht. Sie meinen die Leichte Sprache. Diese lässt nur wenige Wörter pro Satz zu. Nebensätze sind nicht zulässig. Diesen Begriff verwendet der Gesetzgeber. Aktuell wird eine DIN-Empfehlung für die Leichte Sprache erarbeitet. Ich beteilige mich daran. Doch ich selbst bevorzuge die Einfache Sprache. Sie gibt viel mehr Freiraum als die Leichte Sprache. Als Freier schreibe nicht nur für mehrere Lokalzeitungen, sondern auch für Kunden, die Texte in einer besonders verständlichen Form benötigen.

Dazu zählen Behörden, die erkannt haben, dass sie mit klassischem Amtsdeutsch nicht mehr weiterkommen. Im englischsprachigen Raum gibt es Plain Language, was nichts anderes als Einfache Sprache bedeutet. Sie ist dort viel populärer als Einfache Sprache bei uns. Auch Unternehmen nutzen sie zur Kommunikation mit Kunden. US-Bundesbehörden sollen Informationen so schreiben, dass diese von 85 Prozent der Bevölkerung beim ersten Lesen verstanden werden. Das ist sehr ambitioniert.

Wie könnte Einfache Sprache im Journalismus verwendet werden?

Ich sage nicht, dass der Journalismus geschlossen auf Einfache Sprache umsteigen soll. Ganz bestimmt nicht. Aber er sollte stärker auf die Lesekompetenz der jeweiligen Zielgruppe des Mediums eingehen. Das gilt besonders im Lokalen. Reformen beschränken sich meistens aufs Layout. Zeitungssprache kommt selten auf den Prüfstand. Im Lokalen wird viel über Flüchtlinge geschrieben, aber nicht für sie. Einfache Sprache hilft da. Ich denke an Themen, die wichtig sind, um sich in seinem Ort zurechtzufinden: Kitas und Schulen, lokale Infrastruktur sowie aus meiner Sicht auch kommunalpolitische Themen.

Sind viele Artikel im Lokalen schwer zu verstehen? Haben Sie vielleicht mal ein Beispiel für komplizierte Wendungen oder Formulierungen?

Geben Sie in Google ein: Haushalt Verabschiedung. Dann stoßen Sie schnell auf diesen Text einer Lokalzeitung mit diesem Einstieg in den Aufmacher: Die 7000 Einwohner-Gemeinde XY hat „nach den Vorschriften des ‚Neuen Kommunalen Haushalts- und Rechnungswesens‘ den Haushaltsplan 2020 als ersten doppischen Haushalt verabschiedet. Ein Paradigmenwechsel sei dies, lässt die Verwaltung in dem 431 Seiten starken Haushaltsbuch wissen. Nicht zu vermeiden war es bei dieser Premiere des ressourcenorientierten Rechnungswesens, dass für 2020 beim Gesamtergebnishaushalt ein Defizit von 847 800 Euro herauskommt.“

Besteht nicht die Gefahr, dass ein Teil der Leserinnen und Leser sich durch die einfache Sprache unterfordert fühlt und Artikel, die so verfasst sind, nicht mehr ernst nimmt?

Ich orientiere mich beim Schreiben für Zeitungen an der Einfachen Sprache. Die Betonung liegt auf „orientieren“. Einen zweiten Nebensatz werden Sie bei mir selten finden. Satzschlangen ebenfalls nicht. Die Rückmeldungen sind positiv: verständlich und informativ. Bei mir fühlt sich kein Leser unterfordert. So zu schreiben, ist eine Herausforderung, die nur mit Übung gelingt. Mein Anspruch ist Einfache Sprache in journalistischer Qualität. Das heißt auch, dass Inhalte nicht vernachlässigt werden. Da selbst geübte Schreiber/innen dies nur mit entsprechenden Hinweisen und Übung erreichen, gebe ich dazu Kurse. Trotz Routine: Wenn mir die Zeit zum Schreiben fehlt, klappt es mit der Einfachen Sprache nicht. Einen Fachbegriff zu umschreiben, kann einige Zeit in Anspruch nehmen.

Wäre es nicht eher erforderlich, dass sie Lesekompetenz in der Bevölkerung wieder erhöht wird, statt die Sprache zu vereinfachen?

Das würde ich zwar auch begrüßen. Aber daran glaube ich nicht. Immer mehr Menschen gewöhnen sich daran, Google und Alexa mündlich etwas mitzuteilen anstatt über die Tastatur. Die Software antwortet nicht mit Text, sondern Sprache. So zu kommunizieren, beeinträchtigt auf Dauer die Schreib- und Lesekompetenz. Ich denke in die Zukunft. Für immer mehr Menschen schwindet die Notwendigkeit, lange Texte zu lesen. Zuhören reicht. Daran ändern gut recherchierte und faktenreiche Aufmacher in einer Lokalzeitung nichts. Die Quote funktionaler Analphabeten ist mit geschätzten zehn Prozent der Bevölkerung heute bereits erschreckend hoch. Mit VHS-Alphabetisierungs-Kursen ist dem wenig beizukommen. Die Lokalzeitungen müssen dieser Entwicklung zumindest auf halbem Weg entgegenkommen. Das heißt, Leser – wo immer nötig – mit Einfacher Sprache binden, als sie zu verlieren.

Zur Person

Uwe Roth schreibt für Lokalredaktionen in der Region Stuttgart. Er textet vor allem für öffentliche Auftraggeber in Einfacher Sprache und gibt Workshops. Zudem unterrichtet er an Fachschulen das Thema barrierefreie Kommunikation.

Mail: post@journalistroth.eu, Internet: leichtgesagt.eu


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